Oberbayern:Lauschangriff im Schlafzimmer

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Ein 61-jähriger Spanner soll zehn Jahre lang seine Mieter abgehört und gefilmt haben. Die Opfer leiden immer noch.

Stefan Mayr

Angela Hartmann steigen noch heute Tränen in die Augen, wenn sie an diesen Novembertag 2007 zurückdenkt. "Ich bekam einen Weinkrampf und wusste nicht, was ich machen sollte", berichtet die zierliche Frau mit den blond gefärbten langen Haaren. Die Leidensgeschichte der 24-Jährigen hat bislang zwei Kapitel, und die junge Frau weiß noch nicht, ob und wann sie ein Ende findet.

Unter ständiger Beobachtung: Zehn Jahre lang hat ein Mann seine Mieter ausspioniert. Er installierte in allen Zimmern Kameras und Mikrofone. (Foto: Foto: AFP)

Alles begann an einem normalen Fernsehnachmittag auf der Couch. Angela Hartmann (Name geändert) sah in den RTL-Nachrichten einen Beitrag über einen Mann, der zehn Jahre lang die Mieter seiner zwei Wohnungen ausspioniert hatte. Er hatte in allen Zimmern Minikameras und Mikrofone installiert und speicherte alle Aufnahmen. Bevorzugt die intimen Szenen.

Angela Hartmann war zunächst leicht amüsiert. Zunächst. Bis auf dem Bildschirm das Haus in Großmehring bei Ingolstadt erschien, in dem sie selbst ein Jahr lang gewohnt hatte. Sie erkannte, dass sie und ihr Ehemann ebenfalls Opfer des Spanners geworden waren. Die 24-Jährige erlitt einen Nervenzusammenbruch. Seitdem ist im Leben des Ehepaares Hartmann nichts mehr, wie es vorher war.

"Ich war nur noch fertig", berichtet Angela Hartmann. Sie rief bei der Kriminalpolizei an. Wollte wissen, ob es auch von ihr Aufnahmen gebe. Die Beamten kümmerten sich zwar sofort um die Angelegenheit, aber aufgrund der Datenmenge dauerte es eine Weile, bis sie eine Antwort geben konnten. "Diese Ungewissheit hat mich aufgefressen", sagt Angela Hartmann.

Nach einigen traumatischen Tagen wussten sie schließlich: Ihr 61-jähriger Vermieter hatte sie und ihren Mann Tag und Nacht gefilmt und belauscht. Jedes Umziehen, jedes Duschen, jede Zärtlichkeit wurden erfasst. "Ich bekam Angstzustände und Panikattacken", erzählt sie. Vier Monate lang war sie außer Stande, in die Arbeit zu gehen.

Inzwischen geht es ihr zwar besser, doch ohne Medikamente würde sie ihre Ängste nicht in den Griff bekommen. Und im Alltag ist sie bis heute eingeschränkt: "Eine öffentliche Toilette geht gar nicht", sagt sie. Sie traue sich nicht mehr in ein Fitnessstudio, selbst beim Duschen in ihrer eigenen Wohnung befällt sie grundsätzlich ein schlechtes Gefühl. Am Schlimmsten ist wohl die Beeinträchtigung ihres Ehelebens.

"Ich habe mich total verschlossen", sagt Angela Hartmann. "Wir haben sehr gelitten, unsere Beziehung stand kurz vor dem Aus." Ihr Mann Michael, 26, sitzt neben ihr und schweigt. Bis zuletzt hat das junge Paar versucht, die Krise aus eigener Kraft zu überwinden. Jetzt wollen sie die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehmen.

Als die Hartmanns noch in der Dachgeschoss-Wohnung lebten, hatten sie ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Vermieter. "Er war total nett, ruhig und hilfsbereit, oft hat er uns Obst aus dem Garten gebracht", sagt Angela Hartmann. "So etwas hätte ich ihm nie im Leben zugetraut." Der 61-jährige Voyeur ist berufstätig, verheiratet und in einem Sportverein ehrenamtlich als Abteilungsleiter engagiert.

Kontrollstation im Gartenschuppen

"Seine Frau ist eine ganz liebe", ergänzt Angela Hartmann. Angeblich, so sagte die Ehefrau des Täters aus, habe sie von der schlüpfrigen Freizeitbeschäftigung ihres Mannes nichts gewusst.

Der Spanner hatte sein geheimes Hobby perfekt organisiert. In allen Zimmern der Dachgeschoss-Wohnungen seines Mehrfamilienhauses hatte er Kameras und Mikrofone installiert, meist in den Astlöchern der Holzdecke. Die Aufnahmen wurden per Funk in einen Schuppen im Garten gesendet. Dort hatte sich der Spanner eine Art Kontrollstation mit drei Bildschirmen eingerichtet, um die Filme zu sichten und fein säuberlich auf Videokassetten und CDs zu archivieren.

Diese schmutzigen Videospielchen liefen zehn Jahre lang - mit elf verschiedenen Mietern, meist jungen Pärchen oder Studentinnen. Bis eine Mieterin eine Kamera entdeckte. Als sie über die Holzdecke im Schlafzimmer wischte, fiel ihr die Linse einer Mikrokamera entgegen. Als die alarmierte Polizei den Täter zur Rede stellte, war er sofort geständig.

Am 13. Oktober soll ihm der Prozess gemacht werden, und hier beginnt das zweite Kapitel von Angela Hartmanns Horrortrip. Das Amtsgericht Ingolstadt hat die Anklage nur wegen "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches" und "Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" zugelassen. Die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung hat es dagegen wegen Geringfügigkeit eingestellt, dadurch kann Angela Hartmann nicht als Nebenklägerin am Prozess teilnehmen. "Ich war entsetzt, als ich die Ladung gelesen habe", sagt Klaus Wittmann, der Anwalt der Geschädigten.

"Es gibt ein ärztliches Attest vom Nervenzusammenbruch und von einer reaktiven Depression", beteuert der Fachanwalt für Strafrecht, "und bei einem Strafprozess kommt es doch auch darauf an, dass die Interessen der Geschädigten zur Sprache kommen und Schuld benannt wird." Er und seine Mandaten könnten nicht verstehen, dass sie aus dem Verfahren gedrängt werden.

"Zuerst hat es ein Jahr bis zum Prozess gedauert, und jetzt dürfen wir nicht dabei sein", sagt Angela Hartmann, "das frisst mich auf." Anwalt Wittmann hat eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung als Nebenkläger eingereicht, die Entscheidung des Landgerichts steht noch aus. Angela Hartmann verspürt unterdessen eine "extreme Wut". Sie will "auf jeden Fall" als Nebenklägerin auftreten. "Der Mann soll seine gerechte Strafe bekommen und sehen, was er angerichtet hat", sagt sie. "Er hatte seinen Spaß, und wir leiden bis heute."

© SZ vom 06.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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