Nürnberg:Dornen für den Staatsanwalt

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Eine Nürnbergerin vertraut einem Amtsschreiben und wird plötzlich Opfer juristischer Spitzfindigkeiten.

Uwe Ritzer

Das amtliche Schreiben trug das korrekte Aktenzeichen, war knapp und unmissverständlich. "Die restlichen Verfahrenskosten wurden von Amts wegen niedergeschlagen. Stellen Sie daher jede weitere Zahlung ein. Die Angelegenheit ist damit erledigt", steht in dem Brief der Nürnberger Staatsanwaltschaft vom 28. April 2000.

Die Adresssatin Hildegard Fischer (Name geändert) freute sich über die Großzügigkeit und tat, wie ihr geheißen. Jahre später allerdings sollte die heute über 70-Jährige teuer dafür bezahlen, dass sie sich auf die Korrektheit eines staatsanwaltschaftlichen Schreibens verlassen hat.

Die Vorgeschichte reicht bis in den Mai 1981 zurück: Da wird Hildegard Fischer mit ihrem damaligen Ehemann zu einer Freiheitsstrafe wegen Betruges verurteilt. Außerdem werden ihr etwa 32 000 Euro an Verfahrenskosten aufgebürdet.

Um diese Forderungen abzusichern, lässt die Staatsanwaltschaft Hypotheken auf drei Immobilien Fischers eintragen. Nachdem sie ihre Strafe verbüßt hat, stottert Frau Fischer die Verfahrenskosten in Monatsraten ab. Um den Gesamtbetrag auf einmal bezahlen zu können, hätte sie eine Immobilie verkaufen müssen, das aber will sie nicht.

Ihre Ehe ist kaputt, ihr Einkommen als alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder nur gering, und die Immobilien sind eine Absicherung. 18 Jahre lang zahlt Fischer brav, bis zum ominösen Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 28. April 2000. An dessen Echtheit besteht kein Zweifel.

Vermutlich hätte nie mehr jemand einen Cent von Fischer verlangt, hätte sie sich nicht Jahre später ahnungslos an die Staatsanwaltschaft gewandt. Sie bat darum, die nach wie vor auf ihren Immobilien lastenden Sicherungshypotheken zu löschen, da die Sache doch längst erledigt sei. Damit trat die Seniorin ungewollt eine Lawine los, die sie am Ende selbst überrollen sollte.

Die Staatsanwaltschaft fand heraus, dass der Justizangestellte Theo M. kurz vor seinem Ruhestand den Fall Fischer mit besagtem Brief vom 28. April 2000 eigenmächtig erledigt hatte. "Die Beweggründe für sein Handeln konnten nie aufgeklärt werden", sagt Justizsprecher Andreas Quentin. "Ein Disziplinarverfahren gegen ihn wurde durchgeführt." Über dessen Ausgang macht Quentin keine Angaben.

Auf stur geschaltet

Ein umfangreicher interner Schriftverkehr, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt die Verwirrung, die der Fall innerhalb der bayerischen Justiz ausgelöst hat. Vier Jahre lang hatte dort niemand bemerkt, dass Fischer nicht mehr bezahlte - eine Blamage.

Die für den Fall zuständige Oberstaatsanwältin äußerte die Überzeugung, dass der ominöse Behördenbrief vom 28. April 2000 "im Außenverhältnis einen Erlass der Restkostenschuld" darstelle.

Auch der Leiter der Nürnberger Staatsanwaltschaft vertrat die Ansicht, Hildegard Fischer habe "redlicherweise davon ausgehen können, zu keinem Zeitpunkt mehr zu Zahlungen aus der konkreten Kostenangelegenheit herangezogen zu werden".

Doch der Generalstaatsanwalt und das bayerische Justizministerium schalteten auf stur. Der ominöse Brief stelle "keinen Erlass dar, sondern eine Niederschlagung", sagt Quentin. "Damit erlischt der Anspruch nicht, und die weitere Rechtsverfolgung wird nicht ausgeschlossen."

Eine juristische Spitzfindigkeit, die keinem Normalbürger geläufig sein dürfte, dem eine Behörde schreibt, dass "die Angelegenheit damit erledigt ist".

Der Staatsanwalt setzt Daumenschrauben an

Ins Zynische gleitet die Argumentation der Justiz, als sie Hildegard Fischer vorwirft, dem amtlichen Brief geglaubt zu haben. Sie hätte eben nachfragen müssen, ob die Angelegenheit tatsächlich erledigt sei, wird argumentiert. Zudem hätte sie wissen müssen, dass der Justizangestellte M. gar nicht berechtigt gewesen sei, Kosten zu erlassen. Schließlich sei Hildegard Fischer mehrere Jahre mit einem Rechtsanwalt verheiratet gewesen. Und als Justizsekretärin habe sie in jungen Jahren auch einmal gearbeitet. "Das ist fast 50 Jahre her", sagt Fischer dazu.

Auf Druck von oben setzt fortan die Nürnberger Staatsanwaltschaft bei der Seniorin die Daumenschrauben an. Ultimativ wird Hildegard Fischer am 10. November 2005 aufgefordert, "binnen eines Monats" die restlichen 26 129,11 Euro Verfahrenskosten zu bezahlen.

Um sie noch mehr unter Druck zu setzen, beantragt man beim Amtsgericht die Zwangsversteigerung aller drei Immobilien. Ein interner Brief des Generalstaatsanwalts vom 24. Februar 2005 hinterlässt einen besonders faden Beigeschmack. Die Kostenforderung an Fischer sei "mit Ablauf des 31. Dezember 2004 verjährt", heißt es darin.

"Die Verjährung ist jedoch nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einrede des Schuldners zu berücksichtigen." Und weiter: "Solange Frau Fischer sich nicht selbst auf einen Erlass beruft, wäre es empfehlenswert, diesen Begriff ihr gegenüber zu vermeiden."

Neuer Prozess, neue Kosten

Wurde die Nürnbergerin also von der Justiz ausgetrickst? "Nein", sagt Justizsprecher Quentin. Die Formulierungen besagten lediglich, dass selbst eine Verjährung "auf die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung keinen Einfluss" hätte. Und was das Schweigegebot in Sachen "Erlass" angeht, sei dieses nur deshalb erfolgt, "weil weder Frau Fischer die gegen sie gerichtete Forderung erlassen worden war noch die Voraussetzungen für einen solchen Erlass vorlagen".

Am 22. Juli 2007 kam es erneut zu einem Prozess, über den Fischers Anwältin sagt, er sei 2das Schlimmste gewesen, was ich in meiner Laufbahn erlebt habe". Ihre Mandantin zog die Klage entnervt zurück. "Wir haben gespürt, dass man uns keine Chance lässt", sagt sie. Das Verfahren kostete sie weitere 7000 Euro.

© SZ vom 18.8.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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