Mode aus dem Knast:Unfreie Marktwirtschaft

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Verkaufsschlager aus dem Knast: Produkte von Bayerns Strafgefangenen sind gefragt und werden künftig unter dem Label "Haftsache" vermarktet. Der Freistaats verdient damit Millionen.

Ulrike Heidenreich

Klar, leicht schräg klingt es schon, dass ausgerechnet im Gefängnis so schöne Meditationshocker hergestellt werden. Wo sonst, denkt man, hat der Mensch so viel Zeit, über sich und sein Leben nachzusinnen, wie in einer Zelle. Die ansprechend gestalteten Würfel mit Filzbezug dürften zum Exportschlager der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg werden.

Mode aus dem Knast: Mit den Verkäufen verdient der Freistaat im Jahr 44 Millionen Euro. (Foto: dpa)

Schon jetzt ist die Nachfrage groß - wie auch nach dem feinen Wald- und Blütenhonig aus dem Aichacher Gefängnis oder den Pantoffeln aus der Werkstatt im Kaisheimer Knast, deren Werbeslogan lautet: "Auf Wolken laufen". Weil die Geschäfte mit der Ware aus dem Gefängnis sich so gut anlassen, will Bayerns Justiz sie nun professionell vermarkten - unter dem Label "Haftsache".

"Der Markt ist da. Die perfekte Handarbeit aus den bayerischen JVAs ist sehr gefragt, schließlich können wir ein bissl mehr Zeit aufwenden", sagt Günter Rieger, Leiter des Arbeitswesens in der JVA Aichach, der das Projekt "Haftsache" in den kommenden Wochen per Internetshop starten wird. Jeder kann dann auf die Produkte hinter Gittern zugreifen.

Ähnliche Online-Shops in Hamburg oder Berlin laufen bestens, das "Santa Fu"-Knast-Unterhemd genießt inzwischen Kultstatus, Labels wie "Made in Jail" vertreiben T-Shirts oder "Bleib sauber"-Geschenkesets mit Originalseife und Zahnpasta aus dem Gefängnis - unter dem Motto: "Die gleichen ehrlichen Produkte, die auch die Gefangenen benutzen."

Die Waren aus den 37 bayerischen Justizvollzugsanstalten wurden bislang nicht zentral vermarktet; wer wollte, konnte jenen beliebten Honig neben Schnittblumen und designpreisverdächtigen Laptop-Filztaschen im Gefängnisladen direkt in Aichach beziehen. "Honig nur, solange der Vorrat reicht, wir haben ja hier nicht unendlich Platz für Bienenvölker", sagt Günter Rieger.

Oder jene Roben für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, die im Straubinger Gefängnis geschneidert werden. Die gute Qualität hat sich längst bei den Spezialisten in den Gerichtssälen herumgesprochen, Stammkunden bitten telefonisch um ein neues Exemplar. Etwa um die Richterrobe mit Samtbesatz an Vorderteil und Ärmelabschluss, mit einer Tasche in der Seitennaht und dem rechten Ärmel zum Hochknöpfen, der Name wird ins Futter gestickt. In reiner Schurwolle für 288 Euro direkt im Straubinger Gefängnis zu beziehen. Künftig werden Richter diese Roben auch unter dem Label "Haftsache" im Internet bestellen können.

44 Millionen Euro an Arbeitseinnahmen verzeichneten die bayerischen Haftanstalten im vergangenen Jahr. Zustande kommen diese durch die vielfältigen Produkte der Eigenbetriebe sowie durch Aufträge von Fremdfirmen, die Material und Geräte hinter Gitter liefern und hier von Gefangenen produzieren lassen.

In Zeiten knapper Haushaltsmittel intensiviert Justizministerin Beate Merk (CSU) jetzt dieses Geschäft: "Die nicht unerheblichen Einnahmen aus den Arbeitsbetrieben tragen dazu bei, die Haftkosten zu reduzieren, und kommen daher den Steuerzahlern zugute." In erster Linie aber gehörten Arbeit und Ausbildung zu den wichtigsten Maßnahmen zur Resozialisierung von Straftätern. "Die Hälfte unserer Gefangenen besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung, ein Drittel nicht einmal einen Schulabschluss, die Hälfte war vor der Inhaftierung ohne Beschäftigung", sagt die Ministerin. "Nur wer in der Haftzeit diese Defizite ausgleichen kann, hat eine echte Chance, danach im Arbeitsleben Fuß zu fassen."

Auf dem Laufsteg Fuß fassen dürfen die Inhaftierten übrigens nicht. Bei einer Modenschau anlässlich der Eröffnung des Augsburger Textilmuseums unter dem Titel "Haftcouture" vor zwei Jahren mussten JVA-Bedienstete die im Gefängnis geschneiderten Modelle vorführen - mehr oder weniger gekonnt im Mannequinschritt.

400 farbenprächtige, phantasievolle Kleider hatten bayerische Gefängnisinsassinnen geschneidert, vom Modell "Bayerische Freiheit Sommer", ein Höschen aus ausgemusterten Dienstabzeichen, bis zum Rock mit Blockstreifen oder Mauerdesign. Das Motto der Veranstaltung "Wir können mehr als Tüten kleben" wurde in den schönsten Farben deutlich, der Applaus war riesig. Die Entwürfe sind jedoch nicht von der Stange zu haben.

"Wir werden ein kleines Modelabel auflegen. Aber ohne große Umtauschaktionen, wenn ein Stück nicht passt", kündigt "Haftsache"-Initiator Rieger an. Parkas etwa, die die Inhaftierten sowieso tragen, "Größe und Passform sind da nicht so wichtig." Oder Schlafanzüge aus der JVA Amberg und "authentische Hemden, die eh für Gefangene angefertigt werden". Der Stoff wird in der JVA Kaisheim gewebt, nur die Farben

werden etwas abwechslungsreicher sein als im Knastalltag. "Die Männer hier tragen meist alle olivfarben", erklärt Rieger.

Laut Bayerischem Strafvollzugsgesetz sind die Gefangenen zur Arbeit verpflichtet, lediglich Untersuchungshäftlinge sind davon befreit. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden, je nach Art und Leistung der Arbeit gibt es 1,04 bis 1,73 Euro Stundenlohn, daraus ergeben sich Tagessätze zwischen 8,28 und 13,80 Euro. Eine Entlohnung unter dem Hartz-IV-Satz - als zusätzlichen Anreiz aber bekommen beispielsweise Häftlinge, die es schaffen, zwei Monate zusammenhängend zu arbeiten, einen freien Tag. Der darf aufgespart werden, um den Entlassungstermin vorzuverlegen. Vier Siebtel ihrer Bezüge müssen die Gefangenen als Überbrückungsgeld für die ersten vier Wochen nach ihrer Freilassung sparen.

In ihren Gefängnisjahren haben sie sich oft seltene Fertigkeiten angeeignet: Die JVA Neuburg-Herrenwörth etwa verkauft geschmiedete Feuerkörbe von 40bis 60 Euro das Stück, Steinvogel "Willi" kostet 50 Euro. Im Landwirtschaftsbetrieb der JVA Laufen-Lebenau züchten die Häftlinge Pappelstecklinge "zur Anlage von Mutterquartieren und zur Pflanzung von Energiewald" - begehrt bei Großgärtnereien.

Aus Niederschönenfeld kommen Räuchermännchen und Schnupfmaschinen, aber auch Zeichentrickfilme auf CD, die in den dortigen Jugendtherapiekursen entstehen und ebenso lustig wie tieftraurig sind. Im Nürnberger Gefängnis stellt man Brotzeitbrettl, Schaukelpferde und Vogelhäuser her, in München-Stadelheim hat man sich auf Weinkisten aus Spanholz und Haushaltswäsche spezialisiert.

Die Justizministerin betont, dass die Gefangenen durch "regelmäßige und sinnvolle Arbeit auf ein straffreies Leben" vorbereitet werden: "Damit tun wir zugleich etwas für die Sicherheit unserer Bürger", sagt Merk. Im Justizministerium in München sitzt man bereits auf Büromöbeln, die in der JVA Straubing geschreinert wurden.

In der Aichacher Anstalt hat man für das Label "Haftsache" eine aufwendigere Möbelserie entworfen. "In Massivholz Buche im Retro-Stil, etwas für den gehobeneren Home-Office-Platz", schwärmt Günter Rieger. Auch Auslieferung und Aufbau vor Ort seien kein Problem, versichert Stefan Heilmann vom Justizministerium: "Es kommen zwei, drei Gefangene, die schon Haftlockerungen haben. Außerdem hält ein JVA-Bediensteter ständig Aufsicht."

© SZ vom 14.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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