Mitten in Regensburg:Die lange Bank bröckelt

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Am Alten Rathaus ist neulich ein Ziertürmchen aus einem Erker gebrochen. Die Restaurierung zieht sich mindestens bis Mitte 2019 hin. In der Stadt hat es eine gewisse Tradition, etwas auf die lange Bank zu schieben

Von Andreas Glas

Was heute Prokrastination heißt, hieß früher mal "auf die lange Bank schieben". Beides meint im Prinzip das gleiche und für beides gibt es noch einen dritten, recht dämlichen Begriff: Aufschieberitis. Die Redewendung "auf die lange Bank schieben" ist zwar immer noch in Gebrauch, aber halt derart abgegriffen, dass man sie auf ewig in diesem hässlichen Phrasenschwein verstauen möchte, das bei dieser sonntäglichen Fußballblablasendung auf einem kleinen Tisch sitzt statt auf einer langen Bank, was durchaus konsequent wäre. Es gibt eigentlich nur einen Grund, die "lange Bank" nicht aus dem Phrasenbaukasten auszusortieren: die Anekdote hinter der Redewendung.

Die Anekdote ist deshalb so erhaltenswert, weil sie an die große Vergangenheit dieser großartigen Stadt erinnert, in der die Lange-Bank-Phrase ihren Ursprung hat. In Regensburg, konkret: im Alten Rathaus. Regensburg war ja das Brüssel des Mittelalters und das Alte Rathaus, damals relativ neu, war so etwas wie das europäische Parlament. Von 1663 bis 1803 trafen sich im Immerwährenden Reichstag die Gesandten der europäischen Herrscher, um Politik zu machen - oder eben um ihre Gesetzesinitiativen auf der langen Bank an der Fensterfront des Reichssaals zu deponieren, wo sich das Papier gestapelt haben soll, weil offenbar schon im Mittelalter fleißig prokrastiniert wurde. Daher die Redewendung. Vermutet man jedenfalls.

Nun, gut 200 Jahre nach der letzten Sitzung der Gesandten, bröckelt das historische Gebäude. Neulich ist ein Ziertürmchen aus dem Erker der Fassade gebrochen und auf den Rathausplatz gekracht. Niemand wurde verletzt, aber natürlich muss das repariert werden. Die Denkmalpfleger prüfen jetzt erst mal die Schäden, das dauert voraussichtlich bis Dezember. Dann erst steht fest, wie aufwendig und teuer die Sanierung wird. Und dann ist ja erst mal Winter, hat die Stadt mitgeteilt, weshalb mit einer Reparatur keinesfalls vor Mitte 2019 zu rechnen sei. Puh, zieht sich alles ganz schön. Immerhin, unter dem Erker hat die Stadt sofort Absperrungen platziert. Nicht, dass noch mal was aus der Fassade kracht und doch noch jemanden trifft. Und nicht, dass irgendwer meint, die Stadt würde da was auf die lange Bank schieben.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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