Mitten in Nürnberg:Der Fluch des Fortschritts

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Die Eisenbahn galt bei ihrer Erfindung als sehr modern, entsprechend skeptisch waren viele. Noch heute muss sie oft als Beispiel herhalten. Sogar wenn es um die neue Uni für Nürnberg geht

Kolumne von Claudia Henzler

Als 1835 zwischen Nürnberg und Fürth Deutschlands erste Eisenbahn gebaut wurde, waren die Befürchtungen groß. Würde der Qualm dieses Höllenfahrzeugs die Fahrgäste vergiften? Würden sie durch den Wind eine Lungenentzündung bekommen? Und würden ihre Gehirne das rasende Tempo von 30 Stundenkilometern aushalten? Heute sind Reisende im ICE mit bis zu Tempo 300 unterwegs, jedenfalls dann, wenn es gerade mal keine Oberleitungsschäden oder Signalstörungen gibt. Und soweit man weiß, findet sich unter den eine Million Forderungen auf Entschädigung, die so im Halbjahr bei der Bahn eingehen, kaum eine, die mit neurologischen Beeinträchtigungen begründet wäre.

Nun ist die Sache mit dem Qualm respektive Feinstaub wegen der schleichenden Elektrifizierung auf Bayerns Bahnstrecken zwar noch nicht völlig gelöst. Trotzdem gilt die Eisenbahn seit Langem als Symbol dafür, wie irrational Ängste vor dem Fortschritt sein können. Deshalb wird die Geschichte über das vermeintliche Teufelsding immer gerne bemüht, wenn Technik-Skeptiker bekehrt werden sollen. Auch im Film "Wackersdorf" lässt Regisseur Oliver Haffner die Vertreter der Staatsregierung diesen Vergleich wählen, wenn sie sich für die atomare Wiederaufbereitungsanlage einsetzen.

Könnte sein, dass es sich da um einen Argumentationsbaustein handelt, den der CSU-Nachwuchs seit Generationen auf Rhetorikseminaren der Hanns-Seidel-Stiftung an die Hand bekommt. Jedenfalls griff auch Ministerpräsident Markus Söder neulich zur Anekdote über die skurrile Furcht der Eisenbahngegner. Es ging um die neue Technische Universität, die in Nürnberg entstehen soll, passenderweise auf einem ehemaligen Bahn-Areal. Sie wird nicht etwa kritisch gesehen, weil dort vielleicht einmal an Flugtaxis und Robotern geforscht wird. Sondern weil die Staatsregierung das Projekt wieder mal eingetütet hat, ohne Landtag und Öffentlichkeit mit allzu vielen Details zu behelligen. Dabei stellt Bayern mit einem luxuriösen Betreuungsschlüssel das bisherige Finanzierungskonzept deutscher Hochschulen infrage, das im Prinzip auf eine egalitäre Verteilung von Geld ausgerichtet ist. Ob das ein Fortschritt ist, darüber sollten auch Technikfans zumindest offen diskutieren.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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