Mitten in Ingolstadt:Ast in der Speiche

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Ein Foto vom Oberbürgermeister auf dem Radl sorgt bei Verschwörungstheoretikern für Aufregung

Kolumne von Anton Rainer

Im Grunde genommen handelt es sich beim Fahrrad um ein sehr ehrliches Fortbewegungsmittel. Kette, Zahnräder, Schaltung - es liegt alles offen da, zugänglich und mechanisch unbedenklich. Ein Fahrrad hat keinen Kilometerstand, den es zu manipulieren gäbe und keine Energietanks außer purer Muskelkraft. Ein Fahrrad lügt nicht, ein Fahrrad fährt.

Man kann deswegen die Fassungslosigkeit, mit der die Lokalredakteure des Donaukurier in diesen Tagen auf ihre eigene Leserschaft blicken, gut verstehen. Nicht nur, dass die Ingolstädter dem Blatt das Fälschen von Bildern vorwarfen. Es ging im konkreten Fall auch noch um ein Foto, das den OB Christian Lösel beim Radeln zeigt. Unschuldig, harmlos und dennoch der Auslöser für eine waschechte Fahrrad-Verschwörung. Einige Leser nämlich hatten auf dem Foto einen "mysteriösen länglichen Gegenstand" im Vorderrad entdeckt und munter drauflos spekuliert, welcher Photoshop-Illuminat sie da wohl hinters Licht führen könnte. Ein Tyrannenmörder, der dem CSU-Bürgermeister einen Stock zwischen die Speichen montiert? Oder doch ein PR-Fritze, der beim Fälschen das verräterische Fahrradschloss vergessen hat - versperrt mit dem Da-Vinci-Code? Fest stand für die aufgebrachten Leser nur eines: Der Donaukurier schwindelt , das Rathaus sowieso und wer weiß, vielleicht hat auch das Fahrrad selbst was zu verheimlichen. "Lügenpresse", tönten die Hitzköpfe unter den Aluhüten, in Leserbriefen und Onlinekommentaren. Und der Bürgermeister entschuldigte sich bei der Redaktion: "Ich bin doch nur Rad gefahren!" Und der mysteriöse Gegenstand? "Es war doch nur ein kleines Stück Holz", ein dünner Zweig, der sich im Rad verhakt hatte.

Die glückliche Entwarnung gilt den Verschwörungstheoretikern, der Rest aber sollte sich in Zukunft warm anziehen: Der Ingolstädter Bürgermeister, der wie sein Vorgänger im Glaubwürdigkeits-Ranking offenbar nur knapp über einem Gebrauchtwagenhändler landet. Die Ingolstädter Presse, die für ihre misstrauischen Leser künftig sogar die Existenz von Fahrrädern belegen muss. Und natürlich die Ingolstädter Autoindustrie: Wenn schon der Zorn auf ein vermeintlich manipuliertes Zweirad derart groß ist - wie groß muss dann erst die Wut auf einen manipulierten Diesel sein?

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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