Mitten in Bayern:Rätselhafte Freiheitsaktion

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Vor 70 Jahren erreichte die Rundfunkhörer im Großraum München eine schier unglaubliche Nachricht: "Achtung, Achtung!", tönte es aus den Volksempfängern, "Sie hören den Sender der Freiheitsaktion Bayern . . . Beseitigt die Funktionäre der nationalsozialistischen Partei! Die FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten." Tragischerweise hatten die Aktivisten die Lage falsch eingeschätzt

Von Hans Kratzer

Heute vor 70 Jahren, in den frühen Morgenstunden des 28. April 1945, erreichte die Rundfunkhörer im Großraum München eine schier unglaubliche Nachricht: "Achtung, Achtung!", tönte es aus den Volksempfängern, "Sie hören den Sender der Freiheitsaktion Bayern . . . Beseitigt die Funktionäre der nationalsozialistischen Partei! Die FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten." Tragischerweise hatten die Aktivisten die Lage falsch eingeschätzt. Zwar standen US-Truppen bereits in den Vororten von München und Augsburg, aber es gab immer noch genügend fanatische Nazi-Anhänger, die einen Aufstand niederschlagen konnten. Das verkannten die Widerständler, die aus der Mitte der Gesellschaft kamen. Als sie in der Nacht auf den 28. April mithilfe des Reichsstatthalters Ritter von Epp eine Übergangsregierung bilden wollten, spielte Epp nicht mit, der Aufstand brach zusammen. Dutzende Anhänger der Freiheitsaktion wurden von Nazi-Schergen umgebracht, weil sie weiße Fahnen gehisst und NS-Funktionäre verhaftet hatten.

Nach dem Krieg wurde die Freiheitsaktion Bayern zwiespältig beurteilt. Man warf ihr vor, ihre Aktion dilettantisch vorbereitet und das Leben vieler Unschuldiger zerstört zu haben, die den Worten vom Ende des Nazi-Jochs vertraut hatten. Heute wissen wir, dass die Durchsagen der Freiheitsaktion immerhin eine breitere Wirkung erzielten als lange Zeit angenommen. In vielen Orten in Oberbayern, Schwaben und Niederbayern erhoben sich Menschen gegen die Nazis, mindestens 78 Aufstände sind dokumentiert. Nach Recherchen der Historikerin Veronika Diem hatten sich an den Aktionen gegen das NS-Regime gut 1400 Soldaten und Zivilisten beteiligt. Im Archiv der Süddeutschen Zeitung entdeckte Diem vor einigen Jahren das Zehn-Punkte-Programm der Freiheitsaktion, das wohl in der Aufstandsnacht gedruckt wurde und den Aufbau eines Rechtsstaats sowie die Einführung der Grundrechte postuliert.

Ob die FAB viel Blutvergießen und Zerstörungen verhindert oder nur unnötige Opfer verursacht hat, wird immer noch kontrovers verhandelt. Auch wenn sich mancher Nebel gelichtet hat: Die Freiheitsaktion Bayern bleibt ein Rätsel.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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