Mitten in Bayern:Mit Gegröle gegen die Dämonen

Lesezeit: 1 min

Das überlaute Brauchtum der Bayern belegt, dass ihnen allzu lange Stille nicht behagt. Ständig müssen sie es krachen lassen. Böse Geister, die es zu vertreiben gilt, gibt es schließlich genug - gerade im World Wide Web.

Glosse von Hans Kratzer

Zwischen den Jahren, mit diesen Worten benennen Sprachkünstler jene Zeitspanne, die sich vom Weihnachtsfest bis zum Dreikönigstag erstreckt. Es sind dunkle Tage, die den Menschen seit jeher schrecken, weshalb er sie mit einer ähnlichen Hektik betäubt wie kurz vorher den Advent. Beschenkte begaben sich also ins Licht der Kaufhäuser, um ihre Gaben umzutauschen, andere rührten beseelt den Silvesterpunsch an, und die Frischluftfraktion suchte ihr Heil mit ihren neuen Brettln in der heilen Welt der Berge. Es war eine laute Zeit, bevor der sogenannte Lockdown diesem Treiben ein Ende setzte. Niemand dachte freilich an all die Geister und Dämonen, die in den Raunächten durch Böllerschläge, Feuerwerk und menschliches Gegröle vertrieben werden. Es liegt nahe, dass Stille für Dämonen alles andere als artgerecht ist. Manche scheinen in ihrer Verwirrung bereits hinübergerutscht zu sein in das Finsterreich der sozialen Medien, wo vor allem das Böse das Wort führt.

Das Bild der ins World Wide Web rutschenden Dämonen passt insofern ganz gut, als man sich ganz allgemein einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht. Der gute Rutsch, der sich wohl durch eine Glückwunschkarte verbreitete, hat die früheren Glückwünsche zum Jahreswechsel verdrängt. Zudem geriet jene Frage in Vergessenheit, die man früher an Silvester stellte: "Was tust du im alten Jahr?" Aber auch der Spruch "Gutes neues Jahr" wurde bereits wieder abgelöst von der smarten Kurzform "gutes Neues!". "I wünsch dir a guats Neis!", sagt man in Südbayern, die Franken wiederum wünschen sich "einen guten Beschluss".

Die Sitten und Gewohnheiten erleben einen ständigen Wandel. Kollegin F. erzählte soeben, ihre Mama habe sie gerade verabschiedet mit den Worten "Pfiati, a guads Lebn no!" So klinge eben niederbayerischer Pragmatismus, meinte die fest im Leben stehende Kollegin. Und doch bleibt offen, ob ein gutes Leben am Jahreswechsel auch ohne Silvesterkracher und Böllerschüsse möglich ist. Allzu lange Stille hat den Bayern noch nie behagt, wie ihr überlautes Brauchtum belegt, ständig müssen sie es krachen lassen. Sogar die Generation Smartphone bräuchte die Neujahrsböller ganz dringend. Nirgendwo tummeln sich mehr böse Geister als im Internet.

© SZ vom 30.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: