Mitten in Bayern:Der Landrat und die Flüchtlinge

Im Internet kann jeder mitreden, aber diese Freiheit hat auch Nachteile: Grobheiten und Beleidigungen kursieren häufig unzensiert in der Netzgemeinde. Fatal ist das vor allem bei Themen, die dringend differenziert betrachtet werden müssen

Von Korbinian Eisenberger

Im Internet kann jeder mitreden, aber diese Freiheit hat auch Nachteile: Grobheiten und Beleidigungen kursieren häufig unzensiert in der Netzgemeinde. Traunsteins Landrat Siegfried Walch (CSU) befasste sich kürzlich in einem Facebook-Beitrag mit der Asylpolitik. Er reagierte damit auf eritreische Flüchtlinge, die im Chiemgau untergebracht sind und seit Wochen gegen die Zustände in ihrer Unterkunft protestieren. Dass die Demonstranten bis vor die zentrale Flüchtlingsanlaufstelle in München zogen, hat Walch geärgert. Die aus seiner Sicht "völlig unberechtigten" Proteste vor der Bayernkaserne könne er nicht verstehen, schrieb Walch auf Facebook. Es brauche "viel Verständnis und Solidarität der einheimischen Bevölkerung", um "allen echten Flüchtlingen" zu helfen. Für die "Aufnahmebereitschaft", so Walch, seien Demonstrationen wie diese in München alles andere als förderlich.

Mehr als 600 Mal haben Walchs Netzfreunde den Gefällt-mir-Knopf geklickt. Unter seinem Posting stehen überdies Dutzende Geschmacklosigkeiten. Begriffe wie "Pack", "Gesindel" und "Gschwerl" sind dort zu lesen, außerdem Forderungen, die Asylbewerber umgehend zurückzuschicken. "Einfach nur daneben und respektlos", lautet eine der wenigen Gegenstimmen, auch Asylbewerber hätten ein Recht zu demonstrieren. Die Traunsteiner SPD-Bundesabgeordnete Bärbel Kofler kritisiert, dass Walch die "menschenverachtenden" Äußerungen unter seinem Posting unkommentiert stehen ließ.

Ungefilterte Meinungsfreiheit im Netz statt Demonstrationsfreiheit für Flüchtlinge? Einige Kommentare seien zwar "bedauerlich", sagte Walch auf Nachfrage, er wolle sich in derlei Debatten aber nicht einmischen. "Ich sehe keinen Grund, irgendwas an meinem Statement zu relativieren." Er könne weder alle Kommentare auf seiner Seite prüfen noch mit jeder Demonstranten-Gruppe sprechen, sagt Walch. Vielleicht wäre es diesmal einen Versuch wert gewesen.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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