Missbrauch von Messdiener:Ehemaliger Mesner muss vier Jahre in Haft

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Ein Handy hier, eine DVD da: Mit Geschenken hat ein Mesner aus Unterfranken einen Ministranten gefügig gemacht - um ihn dann sexuell zu missbrauchen. Vor Gericht bittet er um "eine zweite Chance", doch das Gericht entscheidet anders.

Olaf Przybilla, Würzburg

Als der Ministrant zwölf Jahre alt war, ging es los. Manchmal geschah es in der Sakristei einer Kirche im mainfränkischen Landkreis Kitzingen, manchmal zu Hause beim Mesner. Der war in der Gemeinde auch für die Betreuung der Ministranten zuständig. Der Mesner entblößte sich vor dem Messdiener, der sollte an ihm herumspielen.

Der Angeklagte entschuldigte sich bei seinem Opfer. Der einstige Messdiener ist noch heute psychisch schwer gezeichnet von seinem Martyrium. (Foto: dapd)

Später schaute man sich gemeinsam Pornos an, insgesamt 20-mal kam es zu sexuellen Handlungen, unter anderem zum Oralverkehr. Der Mesner ist inzwischen 30 Jahre alt, vor der Ersten Strafkammer am Landgericht Würzburg hat er das alles zugegeben. Diese hat ihn nun zu vier Jahren Haft wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt.

Zuvor nutzt der Angeklagte die Gelegenheit, bei seinem Opfer um Entschuldigung zu bitten. Er ringt mit den Worten: Dass der frühere Ministrant ihm irgendwann verzeihen könne, das hoffe er. Als er 2004, es war gerade die Zeit des Sternsingens, begonnen habe, sich seinem Schutzbefohlenen zu nähern, habe er "einfach nicht abschätzen können", was das für Folgen haben könnte - vor allem für den Messdiener.

Der hat sich erst überwinden können, sich einer Mitpatientin anzuvertrauen, als er sich zur Behandlung in eine psychiatrischen Klinik begeben musste. Sechs Jahre nach dem Martyrium im Haus des Mesners. Viermal hat der 20-Jährige inzwischen versucht, sich das Leben zu nehmen. Seit einem Jahr ist er nicht mehr in der Lage zu arbeiten.

Dass er in naher Zukunft seine Ausbildung fortsetzen kann, hält ein Gutachter für unwahrscheinlich. Er leidet unter Schlafstörungen, schweren Depressionen. Wenn er mit kirchlichen Symbolen konfrontiert ist, mit Weihrauch etwa, erleidet er Flashbacks. Man müsse es so hart formulieren, sagt Staatsanwalt Thomas Trapp: Im Grunde sei da einem mindestens "seine Jugend geraubt" worden. Trapp fordert fünf Jahre Haft.

Erneuter Umgang mit Schutzbefohlenen nicht auszuschließen

Im Verlauf der Verhandlung hat der Angeklagte erklärt, für ihn sei die Kirche in seiner Zeit als Mesner praktisch alles gewesen. Völlig aufgegangen sei er in der Arbeit für die Gemeinde in einer katholischen Kleinstadt.

Als jüngster Leiter einer Pfarrbücherei in Bayern habe er mal gegolten, ein Wochenende habe es für ihn kaum gegeben, immer habe sich alles nur um die Kirche gedreht. Für den Zwölfjährigen will er bald "Liebe" empfunden haben. Mit der Kirche aber habe er nun gebrochen, inzwischen sei ihm nur noch der Glaube wichtig.

Der Nebenkläger Boris Haigis bezweifelt das. Er erlaube sich den Hinweis, dass man Zweifel hegen dürfe an der Abkehr des Angeklagten von der Kirche: Schließlich lasse der sich an einer katholischen Universität zum Religionspädagogen ausbilden. Die Gefahr, dass er in seiner beruflichen Karriere abermals mit Schutzbefohlenen zu tun bekomme, sei nicht auszuschließen. Auch er plädiert für eine Haftstrafe.

Anwalt Norman Jacob gibt sich darüber empört. Er plädiert für eine Bewährungsstrafe, immerhin habe der Angeklagte, seit er konkret beschuldigt wurde, zu keinem Zeitpunkt abgestritten, dass es zu sexuellen Handlungen gekommen sein könnte - nur ausgesagt hatte er erst nach einem Glaubwürdigkeitsgutachten.

Auch habe der Angeklagte dem früheren Ministranten durch sein Geständnis erspart, die Details der Taten - bei denen niemals Gewalt im Spiel gewesen sei - zu erörtern. Er gestehe seine Schuld ein und habe auch schon Schmerzensgeld an sein Opfer überwiesen. Was aber das Wichtigste sei: Würde der Student tatsächlich zu einer Haftstrafe verurteilt, dann müsse er sein Studium beenden.

Eine Professorin hat dem 30-Jährigen bescheinigt, ein besonders gewissenhafter und hilfsbereiter Student zu sein, auch als akademische Hilfskraft würde ihn die Hochschule gerne weiter beschäftigen. Das allerdings nur, wenn er nicht ins Gefängnis müsse. Das habe unabdingbar die Exmatrikulation zur Folge. "Wir müssen verhindern, dass es in dieser Sache zwei Opfer gibt", sagt der Anwalt. Der Angeklagte schließt sich ihm an. Er bitte dringend "um eine zweite Chance", sagt er.

Das Landgericht Würzburg entscheidet sich anders. Die Schuld, die der Angeklagte auf sich geladen habe, "verbietet eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe", urteilt der Vorsitzende Richter Lothar Schmitt. Der Angeklagte habe das in ihn gesetzte Vertrauen "in abscheulicher Weise" missbraucht. Mit Geschenken - mal steckte er dem Ministranten ein Handy zu, mal eine DVD - habe er versucht, den Zwölfjährigen gefügig zu machen. Der suchte nach einer Bezugsperson, seine Eltern - beide arbeiteten als Gastwirte - hatten wenig Zeit für ihren Sohn.

Als dann Gerüchte in der Kleinstadt aufkamen, der Mesner pflege ein merkwürdig enges Verhältnis zu einem Zwölfjährigen, da drohte der Mesner mehrmals mit Verleumdungsklagen gegen Gemeindemitglieder. Mit Erfolg: Zwar wurde ihm die Betreuung von Ministranten entzogen, die Pornospiele mit einem Jugendlichen aber führte er immer weiter fort.

Einem Gutachter hat der ehemalige Ministrant gesagt, er wisse nicht, ob er sich eine Gefängnishaft für seinen Peiniger wünschen solle. Am liebsten würde er ihm "eine reinhauen". Der Richter zitiert das in seinem Urteil. Und er sagt, der 20-Jährige habe mit seiner Anzeige "etwas sehr Wichtiges geleistet" - die Ermutigung anderer Missbrauchsopfer.

© SZ vom 13.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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