Kriminalfall Herrmann:Der tote Verdächtige

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Der Anwalt des im Kriminalfall Herrmann angeklagten Werner M. kritisiert "einseitige" Arbeit der Staatsanwälte.

Stefan Mayr

27 Jahre nach dem Erstickungstod der zehnjährigen Ursula Herrmann in einer im Wald vergrabenen Kiste steht der Prozess gegen den Hauptverdächtigen Werner M., 58, und seine Frau Gabriele, 62, kurz bevor.

Im Kriminalfall Ursula Herrmann steht der Prozess kurz bevor. (Foto: Foto: dpa)

Das Oberlandesgericht München hat die Beschwerde gegen die Untersuchungshaft des Angeklagten in zweiter Instanz verworfen, die Zulassung der Anklage wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge durch das Landgericht Augsburg wird demnächst erwartet. Walter Rubach, der Verteidiger des Angeklagten, kritisiert unterdessen die Staatsanwaltschaft und wirft ihr "einseitige Interpretationen" vor, die ein "falsches Bild" ergeben.

"Es gibt mindestens genauso viele Indizien, die für die Täterschaft eines anderen Mannes sprechen", sagt der Augsburger Anwalt, "doch dieser Teil der Ermittlungen wird völlig ausgeblendet." Rubach spielt damit auf den Münchner Polizisten Harald W. an. Auch gegen ihn wurde in den Achtziger Jahren ermittelt, allerdings konnte ihm die Tat ebenso wenig nachgewiesen werden wie Werner M. Und dieser Verdächtige ist vor 13 Jahren gestroben.

"Harald W. befand sich am Tattag auf einem Hochsitz 200 Meter vom Vergrabungsort entfernt", sagt Rubach. "Auch sein Auto wurde in der Nähe gesehen." Überhaupt sei es viel wahrscheinlicher, dass Ursula Herrmann "die 800 Meter vom Entführungsort bis zur Kiste mit einem Auto transportiert wurde und nicht zu Fuß unter dem Arm", sagt Rubach. "Als Jäger war Harald W. einer der wenigen, die dieses Waldstück mit ihrem Auto befahren durften, ohne aufzufallen."

Des weiteren sei in der Nähe der Kiste eine Warnvorrichtung aus Draht gefunden worden. "Die Drahtstücke wurden verdrillt, wie man es bei der Fernmeldehundertschaft der Polizei lernt", berichtet Rubach - Harald W. sei Mitglied einer derartigen Hundertschaft gewesen.

Außerdem sei Harald W. charakterlich eine derartige Tat durchaus zuzutrauen gewesen. Damals gab es Berichte, wonach W. als Polizist Obdachlose misshandelt haben soll. Harald W. wurde bereits 1974 bei einem Polizeieinsatz angeschossen, er ging danach in Frühpension. Zur Tatzeit 1981 betrieb er einen Antiquitätenhandel und betätigte sich als Jäger. Er starb 1995 im Alter von 46 Jahren.

Auch die abgehörten Telefongespräche des Ehepaars M. will Walter Rubach nicht als Indizien gelten lassen: "Wenn man 27 Jahre lang unschuldig unter Dauerverdacht steht, dann ist es doch verständlich, wenn man sich auch über die Verjährungsfrist unterhält."

Dass Werner Ms. Ehefrau wegen Beihilfe ebenfalls angeklagt wurde, erachtet Rubach als rein prozesstaktischen Schachzug der Staatsanwaltschaft. "Damit will die Staatsanwaltschaft vermutlich nur erreichen, dass die Ehefrau nicht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen kann", sagt Rubach. Gabriele M. wurde mitangeklagt, weil eine Zeugin sie angeblich beobachtet hat, wie sie Buchstaben aus Zeitungen ausschnitt. Mit diesen Schnipseln sollen die Erpresserbriefe angefertigt worden sein.

Bedecktes Belüftungsrohr

Dass Ursula Herrmann am 15. September 1981 bereits wenige Stunden nach der Entführung in der Kiste im Wald zwischen Eching und Schondorf erstickte, war nach Ansicht der Ermittler keine Verkettung unglücklicher Umstände, sondern wurde vom Täter fahrlässig verschuldet.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg erklärte, es habe sich dem Täter "aufdrängen müssen, dass infolge der hermetischen Abgeschlossenheit der Kiste zur Umwelt das Kind ohne eine Vorrichtung zur Zwangsbelüftung binnen kurzer Zeit ersticken würde".

Offenbar gehen die Ermittler davon aus, dass der Täter beim Vergraben der Kiste auch die Enden der Belüftungsrohre mit Erde bedeckte. Bisher war angenommen worden, dass die Rohre durch herabgefallene Blätter verstopft worden waren.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ein weiteres Ehepaar wegen Verdachts der Tatbeteiligung. Das Verfahren wurde abgetrennt, mehr wollte die Behörde dazu nicht sagen.

© SZ vom 18.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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