Kratzers Worschatz:Binkel, Schäsn, oide Schachteln

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Gedanklich abzuschweifen, kann gefährlich sein. Selbstironie dagegen ist immer wunderbar

Binkel

Im Münchner Hochhaus der Süddeutschen Zeitung sollte man stets mit wachen Sinnen durch die Gänge wandeln. Hier sind nämlich viele Türen aus Hartglas gefertigt, was schon so manchem Flaneur zum Verhängnis geworden ist. Am Freitag hat es den Kollegen B. erwischt, der gedanklich in die Ferne schweifte und deshalb dynamisch gegen eine solche Tür rannte. Kopf gegen Hartglas, das ergab natürlich ein Hirnbatzl, das sich zu einer respektablen Vorwölbung, also zu einer Beule respektive zu einem Binkel auswuchs.

Dass der Begriff Binkel nicht mehr zeitgemäß ist, hat vor einiger Zeit der Fußballstar Thomas Müller angedeutet, als er nach einem Spiel mitteilte, er habe eine kleine Beule davongetragen. Einem Spieler wie dem aus Anzing stammenden Maier Sepp wäre das Wort Beule früher nicht herausgerutscht. Als er im Tor stand, war der Binkel noch en vogue.

Die aus dem Chiemgau stammende Kollegin K. aber ging, des armen Kollegen B. ansichtig geworden, linguistisch sogar einen Schritt weiter: "Das ist ja ein sauberes Heandl!", entfuhr es ihr. Ein Heandl (Hörndl) ist sozusagen ein Binkel de Luxe. Dank kalter Umschläge hat sich der Binkel des Kollegen B. lediglich zu einem mittelschweren Heandl entwickelt. Ungeachtet dessen ist die Herkunft des Wortes nicht geklärt. Eindeutig zuzuordnen ist jedoch das Halsbinkerl, es ist ein Synonym für den Kropf.

Oide Schachtel

Die Schauspielerin Veronika von Quast hat in einem Interview mit der Zeitschrift MUH das alte Münchnerische Idiom hochleben lassen. Kein Wunder, stammt sie doch aus einer Ur-Münchner Familie. Ihre Ausdrucksweise verströmt deshalb eine nostalgisch anmutende Exotik. Wörter wie mei, zach, Schlampn und gwampert sprudeln nur so aus ihr heraus. Nächstes Jahr wird Frau von Quast 70, was ihr aber keine Sorgen bereitet: "Und ich denk, oide lustige Schachteln werden immer gebraucht", sagte sie im Interview. Die oide Schachtel ist im Gender-Zeitalter nicht mehr zulässig, was aber ein Schmarrn ist. Das Wort drückt ja auch eine selbstironische Laissez-faire-Haltung aus. Mit ihm kann man den Prozess des Alterns wunderbar verbal verbrämen. Gelegentlich hört man statt oide Schachtel den Begriff oide Schäsn. Die Schäsn kommt von chaise (Kutsche) und war eine beliebte Bezeichnung für den Kinderwagen oder das Kleinauto, bis sie zum Kosewort mutierte.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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