Kommentar:Desaströs und anbiedernd

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In der Asylpolitik bleibt die Staatsregierung ihrer alten Devise treu: verunsichern, vergrämen, vergraulen. Nun will Sozialministerin Emilia Müller Asylbewerbern aus dem Westbalkan die Grundsicherung kürzen - ein Tabubruch

Von Dietrich Mittler

In der Asylpolitik will die Staatsregierung derzeit das Rad neu erfinden: wohlgemerkt eines, das rückwärts läuft. Hatte es in der CSU - bestärkt durch den damaligen Koalitionspartner FDP - noch Kräfte gegeben, die sich ernsthaft für eine humanere Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern einsetzten, so gilt mittlerweile wieder die altbekannte Devise: verunsichern, vergrämen, vergraulen. Und wenn das nicht hilft: abschieben.

In diesen Kontext passt es, dass Sozialministerin Emilia Müller per Bundesratsinitiative Asylbewerbern aus Südosteuropa die ihnen gesetzlich noch zustehenden Leistungen der Grundsicherung kürzen will. Die Begleitmusik zu diesem Szenario hat Finanzminister Markus Söder bereits geliefert, indem er die Asylkosten "als das größte aktuelle Risiko für den Haushalt" brandmarkte. Die Masse der Asylbewerber aus den Westbalkanstaaten, so Müller, kämen allein aus wirtschaftlichen Gründen. Folglich gelte es, "Zuzuganreize in den Ländern, in denen niemand verfolgt wird", zu reduzieren.

Was hier - vom Kabinett scheinheilig mit der Sorge um die "tatsächlich Schutzbedürftigen" begründet - vorgetragen wird, ist im Klartext nichts anderes als ein Vorstoß in Richtung eines kollektiven Verfassungsbruches, zu begehen durch die Bundesländer. Das mag in die Großwetterlage passen, da die hohe Anzahl an Flüchtlingen die einzelnen Länder tatsächlich vor große Herausforderungen gestellt hat und nach wie vor stellt. Doch sowohl juristisch als auch politisch ist der vom gesamten Kabinett mitgetragene Vorstoß Müllers ein Desaster. Juristisch deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht 2012 unmissverständlich klargestellt hat: Existenzsichernde Sozialleistungen dürfen "nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus" eines Menschen differenziert werden. Politisch gefährlich ist Müllers Initiative, weil die CSU hier einmal mehr dumpfe Stammtisch-Parolen provoziert. Doch das ist es der Partei offenbar wert, wenn sie sich so dem rechten Spektrum als Alternative zur AfD anbiedern kann.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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