Koalitionsverhandlungen:Alles ist möglich

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Der Zwang zum Kompromiss löst die CSU aus jahrelanger Erstarrung. Zwar will Horst Seehofer nicht die bayerische "Ypsilanti" werden - beim Rauchverbot aber ist er es schon.

A. Ramelsberger

CSU und FDP tun so, als hätten sie die Liberalitas Bavariae neu entdeckt. Plötzlich ist alles möglich: Modellversuche für Regionalschulen, Änderungen am Versammlungsgesetz, bessere Übertrittsmöglichkeiten für Kinder an weiterführende Schulen. Vernünftige Ansätze, die die CSU bisher als Untergang des christlichen Abendlands verteufelt hatte.

Gelockertes Rauchverbot: Wird das Bundesverfassungsgericht die neue bayerische Regelung kassieren? (Foto: Foto: ddp)

Der Zwang zum Kompromiss löst die CSU aus jahrelanger Erstarrung. Denn wer stets die absolute Mehrheit bekam, der durfte nicht mehr irren, der musste immer die richtige Lösung finden. Ohne Diskussion. So war das bis jetzt.

Nun fällt diese Erstarrung in rasanter Geschwindigkeit von der CSU ab. Bayern als Hort der inneren Sicherheit? Unwichtig, der frühere Garant dafür, Günther Beckstein, hat zu schweigen, sein Nachfolger gibt nach. Bildungsland Bayern - früher unverrückbar, heute heißt es: Warum nicht mal experimentieren?

So gelockert zeigt sich die CSU, dass sich der designierte CSU-Chef Horst Seehofer wenigstens bei der Erbschaftsteuer ganz unnachgiebig zeigen will. "Ich kann doch nicht der Ypsilanti von Bayern werden und nach der Wahl das Gegenteil dessen tun, was wir vor der Wahl versprochen haben", sagt er.

Doch man kann Seehofer ruhig schon "Ypsilanti" nennen - nicht bei der Erbschaftsteuer, vor allem aber beim Rauchverbot. Gerade noch war die CSU stolz auf das strengste Rauchverbot der Republik.

Nun soll plötzlich überall geraucht werden dürfen: in Bierzelten, in Weinzelten, in Nebenzimmern, in Eckkneipen. Niemand muss mehr vor die Tür. Eigentlich ist nur noch ein Platz geschützt: der Hauptraum einer Speisegaststätte. Der Gesundheitsschutz, den das Rauchverbot eigentlich bringen sollte, ist auf ein Minimum zusammengeschnurrt.

Mit dieser Minimalversion aber werden CSU und FDP erhebliche Probleme bekommen. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte den Bayern erst im August ausdrücklich erklärt, ihr Gesetz habe vor Gericht deswegen Bestand, weil es eben keine Ausnahmen zulässt. Eine Woche zuvor waren Berlin und Baden-Württemberg in Karlsruhe gescheitert, weil sie ziemlich genau die Variante eines Rauchergesetzes vorgelegt hatten, das nun auch den Koalitionären vorschwebt.

Das wissen auch CSU und FDP. Aber man kann ja erstmal leutselig tun und sich dann das Gesetz vom Verfassungsgericht wieder kassieren lassen. Dann sind nicht die lieben bayerischen Regierenden schuld, sondern die bösen anderen. Diese Schuldverteilung war in den Ländern schon immer sehr beliebt, egal ob die Politiker dort Seehofer oder Ypsilanti heißen.

© SZ vom 16.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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