Kampf um den CSU-Vorsitz:Ein überraschend milder Herbst

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Erwin Huber wirkt siegesgewiss, Horst Seehofer führt noch Wahlkampf, Gabriele Pauli schreckt vor nichts zurück - und die Basis übt wieder Gelassenheit

Sebastian Beck

Es ist der Abend der Dankbarkeit. Erwin Huber wirkt, als sei er davon schier überwältigt worden.

Konkurrenten Huber und Seehofer (Foto: Foto: dpa)

"Die CSU Niederbayern ist hundertprozentig angetreten", ruft er Edmund Stoiber zu, als dieser mit einer Stunde Verspätung auf dem Sommerempfang in der Landshuter Messehalle eintrifft. Und dann sprudelt es aus Huber nur so heraus:

Der Dank an Stoiber für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Der Dank für dessen kommunalfreundliche Politik. Tief empfundener Dank aus "christlicher Tradition". Ein "herzliches Vergelts Gott" für Niederbayerns Aufschwung. "Aufrichtiger, herzlicher Dank" für das Forschungszentrum Straubing.

Und nachdem er sich mit "großer Dankbarkeit und Ehrlichkeit" bis ans Ende seiner Begrüßung durchgedankt hat, überreicht Huber seinem langjährigen Chef Stoiber, an dessen Karriereende er nicht völlig unbeteiligt war, einen Fresskorb mit Spezialitäten aus der Region - "als Zeichen des Dankes". Nochmal Herzlichen Dank und Alles Gute, Edmund.

Der scheidende Parteivorsitzende revanchiert sich auf seine ganz persönliche Art: Er dankt Erwin Huber. Kurz.

Endlich Ende des Gestopsels

Dafür hält er eine umso längere Rede über das Konnexitätsprinzip und die Reform der Erbschaftssteuer, als wolle er seinen 500 Parteifreunden beim letzten Auftritt in Landshut nochmals vor Augen führen, warum sie ihn loswerden wollten.

"Jetzt fängt des Gestopsel schon wieder an", raunen Zuhörer im hinteren Teil des Saals, während Stoiber von der Schlüsselrolle Indiens und Chinas zur Abspaltung der bayerischen Pfalz holpert. "Ja spinnt denn der", giftet ein CSU-Kommunalpolitiker halblaut. "Jetzt kann er gleich aufhören."

Nur noch bis zum Parteitag am nächsten Wochenende müssen sie es miteinander aushalten - die CSU und ihr Vorsitzender Edmund Stoiber. Im ihrem finalen Stadium löst die zerrüttete Beziehung nochmal heftige Gefühlsschwankungen aus - auf beiden Seiten.

Zwischen Passionsspiel und Komödie

Als Stoiber am Mittwoch nach seiner letzten Rede auf der CSU-Klausur in Kloster Banz vor die Presse tritt, da glaubt man einen wässrigen Glanz in seinen Augen zu erkennen. "Wenn er halt immer so gewesen wäre", seufzen Abgeordnete.

Dann hätte man ihn im Winter nicht vom Hof jagen müssen. Dann hätte sich die Partei das neunmonatige Drama erspart, diese Mischung aus Passionsspiel und Komödie, die sich nun dem Ende zuneigt.

Als im Dezember und Januar die Fürther CSU-Landrätin Gabriele Pauli die Rebellion gegen Stoiber anführte und er seinen Rückzug verkündete, japsten selbst altgediente CSU-Abgeordnete vor panischer Aufregung. Es war eine Weltkrise ausgebrochen, jedenfalls eine bayerische.

Dann stürzte sich auch noch der Boulevard auf Parteivize Horst Seehofer und seine hochschwangere Freundin; die Basis-Heldin Pauli ließ sich mit Perücke und Latexhandschuhen fotografieren. Machtkampf in der CSU, Führungskrise. Der Jüngste Tag.

Eine schreckliche Zeit

Von wegen. Gut eine Woche vor dem Parteitag sitzt CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann im barocken Kaisersaal von Kloster Banz. Von Statur und Habitus her erinnert er ein bisschen an eine Mischung aus Buddha und Balu, den Bären aus dem Dschungelbuch.

Es gibt wenig, was ihn aus seiner freundlichen Gemütsruhe bringen kann. Er redet stets langsam und bedächtig. "Wenn ich überlege, was im Januar alles prognostiziert worden ist", brummelt er mit seiner sonoren Bassstimme und denkt kurz nach. "Im Endeffekt haben wir überhaupt keine Probleme gehabt. Ich habe nicht geglaubt, dass es so ruhig wird."

Das klingt zunächst nach Realitätsverlust. Denn einige CSU-Politiker, wie etwa der fränkische Landtagsabgeordnete Günter Gabsteiger, können sich zumindest noch an eine "fast schreckliche Zeit" erinnern, die nun hinter ihnen im Nebel versinkt.

Doch Herrmanns Einschätzung spiegelt exakt die Stimmung wider, die sich im Sommer in der Partei breit gemacht hat. Der Umschwung von der Hysterie zur Gelassenheit nahm am 30. Juni auf dem CSU-Bezirksparteitag Oberbayern in Mühldorf seinen Anfang, als Wissenschaftsminister Thomas Goppel im Kampf um den Vorsitz unerwartet deutlich Kultusminister Siegfried Schneider unterlag.

Goppel und seine heimlichen Ambitionen auf eine Führungsrolle in Bayern waren damit politisch erledigt. Drei Wochen danach nominierte die CSU-Fraktion Günther Beckstein als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten - ein weiterer Schritt zur Loslösung von Stoiber. Umfragen sahen die CSU Ende Juli bei komfortablen 58 Prozent.

"Die Bevölkerung hat die Probleme alleine an der Person Stoiber festgemacht", sagt Fraktionschef Herrmann. Meinungsforscher hätten ihm bestätigt: dass eine Regierung besser bewertet werde als der Regierungschef, das habe es noch nie gegeben.

Politisch unmögliche Pauli

Es scheint ein unerwartet milder Herbst zu werden für die CSU, die sich bereits wieder ihrem Naturzustand der leicht überspannten Selbstzufriedenheit nähert.

Daran ändert auch all die Aufregung über Paulis Vorschlag für eine Ehe auf Zeit nichts. Die Idee ist zu abstrus, als dass sie irgendeine politische Sprengkraft entfalten könnte. Im Gegenteil: Pauli hat sich damit politisch unmöglich gemacht, was der Parteispitze nur recht sein kann. Alles wird gut, lautet nun das Motto - auch für Erwin Huber.

Der bayerische Wirtschaftsminister muss sich Mühe geben, damit er nicht allzu siegesgewiss wirkt. Obwohl auch er sich nicht wirklich vorstellen kann, was ihn nun noch stoppen sollte auf dem Weg zum CSU-Parteivorsitz. Vielleicht eine kombinierte Ehe-Korruptionsaffäre.

Aber die spektakulärste Nachricht, die aus Hubers Privatleben nach außen drang, war die, dass er seiner Frau demnächst eine neue Küche kaufen will. Politisch übte er sich in absoluter Zurückhaltung und vermied über Monate alles, was als Attacke auf seinen Konkurrenten Seehofer ausgelegt werden könnte.

Und auch wenn der nun fordert, ein neuer CSU-Chef müsse sofort nach Berlin, sieht Huber seinen Platz erstmal in Bayern. Selbst die Spitzen Stoibers, der in ihm einen der Hauptverräter von Wildbad Kreuth sieht, hat Huber nie gekontert: "Meine Strategie, auf die CSU positiv zuzugehen, hat sich als erfolgreich herausgestellt."

Ein Abend in "Ehrlichkeit und Freundschaft"

Ob er denn ein schlechtes Gewissen gegenüber Stoiber habe? Schließlich war es doch die Einigung mit Günther Beckstein, die den Sturz des Regierungschefs erst möglich machte. "Nein", sagt Huber ohne eine Sekunde zu zögern.

Es ist ein Abend ganz im Zeichen der "Ehrlichkeit und Freundschaft" im Weinstadel von Alburg, einem Stadtteil von Straubing. Dankbarkeit spielt eine eher untergeordnete Rolle, als der CSU-Bundestagsabgeordnete Ernst Hinsken seinen Parteifreund Horst Seehofer willkommen heißt. Der CSU-Ortsverband feiert das 60-jährige Gründungsfest, und Hinsken nutzt die Gelegenheit, um sowohl seinen Freunden in Alburg als auch Seehofer den Weg in die Zukunft zu weisen:

"Es kommt nicht drauf an, auf was es ankommt", nuschelt Hinsken die "Leitlinie für Alburg" ins Mikrophon: "Es kommt drauf an, wie es ankommt." Was er damit meint, erschließt sich nicht völlig. Umso deutlicher ist Hinskens Ansage an den Ehrengast Seehofer.

Der werde, ganz gleich auf welcher Ebene auch immer, seinen Weg weiter machen, hebt Hinsken an. Einen besseren Landwirtschaftsminister könne man sich überhaupt nicht vorstellen. Aber weil zur Freundschaft halt auch "ein Stück Ehrlichkeit" gehöre, kommt Hinsken zum Schluss: "Wenn Huber das Rennen machen würde, dann würde ich mich besonders freuen."

Seehofer tut so, als habe er die unfreundliche Geste einfach überhört - eine Kunst, die er in den vergangenen Monaten perfektioniert hat. Denn Seehofer glaubt immer noch, er könne einen Wahlkampf um den CSU-Vorsitz führen.

Deshalb redet er weiter über Mitgliederbeteiligung, Verjüngung, und über natürlichen Patriotismus, obwohl sein Publikum doch etwas ganz anders interessiert: Sagt er was über sein uneheliches Kind? Merkt man ihm was an? Und wie schaut so jemand aus, dessen Privatleben über Monate hinweg in der Öffentlichkeit diskutiert wird?

Es geht immer um "dSach"

Nein, Seehofer geht mit keiner Silbe darauf ein, er sieht nicht anders aus als immer. Er gibt sogar vor, entspannt und gelassen in die Wahl zu gehen.

Aber wenn er über Familienpolitik spricht, dann blicken sich die Zuhörer an den Tischen tief in die Augen. Dann ist es wieder da, das Thema - oder auf bayerisch: dSach.

Sie verfolgt ihn wie ein bissiger Hund, er kann sie nicht abschütteln, auch wenn er, wie kürzlich in der ZDF-Talkshow "Kerner" immer wieder insistiert: "Jetzt sage ich: Schluss, jetzt reichts."

Bügelfernsehen mit der CSU

An der CSU-Spitze beginnt man sich nun langsam sogar Sorgen zu machen um Seehofer, der als Ein-Mann-Team durchs Land tourt. Einerseits herrscht Erleichterung darüber, dass es über all die Monate hinweg keinen echten Wahlkampf gegeben hat.

Allenfalls eine Art Bügelfernsehen der CSU, das pausenlos nebenbei lief und sich ausschließlich um Seehofers Privatleben und Paulis Eskapaden drehte. Andererseits heißt es jetzt, der Horst müsse auf dem Parteitag ein achtbares Ergebnis von 30 Prozent bekommen.

Sonst stünde er danach als Bundesminister saublöd da, und womöglich sei es dann mit der "Freude und Gelassenheit als Bestandteil der Politik" vorbei, die er nach eigenem Bekunden verspürt. Einige Kreisverbände, so lautet ein CSU-Gerücht, sollen eine Art Seehofer- Quorum für die Wahl am Samstag festlegen.

Nur für Gabriele Pauli darf sich niemand mehr offen aussprechen. Da hört der Spaß dann doch auf - nach ihrem Vorschlag für eine Begrenzung der Ehe auf sieben Jahre. Auf maximal noch "50 Irre" schätzen Mitglieder der CSU-Spitze ihre Anhängerschaft unter den 1000 Delegierten.

Pauli selbst findet, sie sei womöglich der Zeit ein bisschen voraus. Es war ein super Jahr für sie. Wo sie auch auftaucht, drehen sich die Menschen nach ihr um. Nicht nur, weil sie eine gepflegte Erscheinung ist. Sie ist die Pauli, sie ist eine Berühmtheit.

"Ich schrecke vor nichts mehr zurück", fasst sie ihre Entwicklung in den letzten zwölf Monaten zusammen und lächelt einnehmend. "Mich schüchtert keine Kritik ein." Die wesentlichen Grundzüge ihres Wahlprogramms habe sie am Wochenende zwischen halb drei Uhr nachts und halb sechs Uhr morgens geschrieben. Danach, sagt sie, sei sie wieder ins Bett gegangen.

50 Irre für Pauli

Es hört sich irgendwie nach Selbsterfahrungsgruppe an, wenn sie von sich erzählt. Wie sie frei geworden sei im vergangenen Jahr, wie der Mut gewachsen sei, aus dem allzu leichten Leben als Landrätin auszubrechen.

"Ich schätze, dass ich so ein bisschen der Beginn der Entwicklung bin", sagt sie über ihre Rolle in der CSU. Gerne würde sie noch stärker inhaltlich diskutieren.

Das dürfte in der Partei vor allem als Drohung aufgefasst werden. Wo man sich doch gerade wieder ausmalt, wie toll die Zukunft sein wird: mit Günther Beckstein und Erwin Huber, dem neuen Traumpaar.

Nun gut, es gibt da theoretische Restrisiken für den Parteitag und Lästermäuler unter den Berliner Parteifreunden: Die befürchten, dass Erwin&Günther in der Hauptstadt womöglich noch als "bayerische Kaczynskis" Furore machen könnten - in Anspielung auf das Duo Infernale der polnischen Politik.

Um Respekt und Dankbarkeit ist es schlecht bestellt in der Politik, das weiß gerade Edmund Stoiber. Als er in Landshut abtritt, witzelt Huber: So sei er halt, der Ministerpräsident. Da solle er ein Grußwort halten, und am Ende sei eine richtige Grundsatzrede draus geworden.

Dann eröffnet Huber nach dreieinhalb Stunden der Herumsteherei in der fensterlosen Halle das Leberkäs-Buffet, und nun ist sie wirklich zu spüren: die pure Dankbarkeit.

© SZ vom 24.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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