Ingolstadt:Voll beschäftigt mit Personalmangel

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Überall fehlt es an Fachkräften und der Ruf nach ausländischen Spezialisten wird immer lauter. Besonders schwierig ist die Lage in der Wirtschaftsregion Ingolstadt.

Roland Preuß

Um an den Mangel erinnert zu werden, muss Rolf Zöllner nur aus dem Fenster blicken. Von seinem Büro sieht der Leiter der Ingolstädter Arbeitsagentur, wie die Studenten aus der Fachhochschule strömen. Aus ihren Reihen würde Zöllner gerne sechs Absolventen gewinnen und als Stellenvermittler einstellen, doch selbst der Arbeitsagentur, die ja an der Quelle sitzt, geht es nicht anders als vielen Firmen - sie findet seit Monaten keine passenden Fachkräfte.

In Ingolstadt ist der Mangel an Fachkräften, wie etwa Schweißer, besonders deutlich zu spüren. (Archivbild) (Foto: Foto: AP)

Ingolstadt ist ein besonders schwieriges Pflaster. Der Arbeitsagentur-Bezirk, der die oberbayerische Stadt und drei Landkreise umfasst, meldete im Juli eine Arbeitslosenrate von gerade einmal drei Prozent - zusammen mit Freising die niedrigste bundesweit. Volkswirte nennen das Vollbeschäftigung.

Die Jobmotoren hier sind der Hauptsitz von Audi und von Mediamarkt/Saturn sowie viele Mittelständler. Die Region ist ein kleines Paradies des Arbeitsmarktes: 7237 Erwerbslose führen die Vermittler in ihren Karteien - und 3069 Stellenangebote.

Immer wieder rufen Personalchefs bei Zöllner an, um ihre Nöte zu schildern - mal fehlen Mechaniker mit Spezialkenntnissen, mal Ingenieure, immer aber Fachkräfte. Zöllners Vermittlungschef Anton Scheringer durchforstet dann die Ingolstädter Kartei nach Kandidaten; ist in seinem Bezirk nichts mehr zu holen, sucht er bundesweit.

Vorrang für Deutsche

Einem Großteil der Unternehmen könne schließlich geholfen werden, sagt Scheringer - einigen allerdings nicht. Die drängeln bei Zöllner dann oft, Ausländer anwerben zu dürfen.

Was Zöllner da erlebt, erzählt er mit einem Grinsen. Da ist der Bauunternehmer, der unbedingt polnische Schweißfachleute, die hier nicht ohne Sondergenehmigung arbeiten dürfen, holen will - und zwar schnell. Bei der Arbeitsagentur hatte er jedoch noch gar nicht nach deutschen Schweißern gefragt.

Oder der Mittelständler, der stets nur wenige Lehrlinge ausgebildet hat, nun aber klagt, dass er keine geeigneten Leute findet. Auf Kräfte aus Tschechien, Polen oder Russland auszuweichen ist ein einfacher, vielleicht auch billiger Weg, glaubten solche Unternehmer. Doch erst müssen Zöllners Vermittler prüfen, ob sich nicht ein einheimischer Kandidat findet. So will es das Gesetz, und das findet Zöllner auch richtig.

Mindestens bis 2009 gilt dieser Vorrang für Deutsche und Bürger aus alten EU-Ländern gegenüber den neuen EU-Bürgern im Osten, und er könnte bis 2011 verlängert werden.

Kritik aus der Union und der SPD

Unternehmerverbände und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos wollen Polen, Tschechen und andere schon 2009 in Deutschland arbeiten lassen, weil der Fachkräftemangel das Wachstum bremst. Sie stoßen damit aber bei Union und SPD auf Kritik. Auf ihrer Klausur in Meseberghat die Koalition vergangene Woche beschlossen, bald Ausnahmen für Ingenieure zu erlauben.

Die Arbeitgeber wollen aber mehr: offenere Grenzen auch für andere Berufe und für Fachkräfte von außerhalb der EU. Auch das ruft Widerstand in SPD und Union hervor, beide wollen lieber auf mehr Bildung setzen und sagen, es gebe ja nach wie vor arbeitslose Fachkräfte in Deutschland.

In Ingolstadt führt die Arbeitsagentur 34 arbeitslose Ingenieure. Zöllner kennt fast jeden Fall. Ein Drittel von ihnen sind gerade mit dem Studium fertig oder wechseln die Stelle, die anderen aber haben allesamt Eigenschaften, die Arbeitgebern nicht gefallen: Sie sind schon älter, krank oder können nicht umziehen. Solche Kunden bleiben lange in der Kartei, selbst wenn Ingenieure gesucht sind.

Der Fachkräftemangel, sagt Zöllner, habe nun aber auch etwas Positives: "Bei den Unternehmen beginnt ein Umdenken, sie interessieren sich mehr für Ausbildung und Ältere." Sogar Langzeitarbeitslose fänden nun Stellen. Würden die Grenzen geöffnet, könnte das diesen Trend aufhalten, fürchtet er.

Keine einzige Bewerbung

Auf ein Umdenken hofft auch Stephan Schreiner, bloß in die andere Richtung. Schreiner ist Chef des mittelständischen Unternehmens Incos in Titting bei Ingolstadt. Seit fast zwei Jahren sucht er Spezialisten, die in Raffinerien die Röhren auf Stabilität hin durchleuchten oder Autoteile auf Risse untersuchen.

15 Leute könnte er zusätzlich zu seinen 150 Mitarbeitern einstellen; Ingenieure, Maschinenbauer, Werkstoffprüfer. Wenn er bei der Arbeitsagentur oder in Internetbörsen Stellen ausschreibt, bekommt er keine einzige Bewerbung. Er musste deshalb schon viele Aufträge ablehnen - sie hätten hunderttausende Euro Umsatz gebracht.

Schreiner ist inzwischen so weit, dass er unter seinen Mitarbeitern Kopfprämien für neue Kollegen ausgeschrieben hat - 500 Euro für eine angeworbene Fachkraft. Er hofft sehr, dass die Bundesregierung die neuen EU-Bürger aus dem Osten schon 2009 generell in Deutschland arbeiten lässt: "Das würde helfen."

Incos hat gute Erfahrung mit Mitarbeitern aus Osteuropa. Seit 15 Jahren arbeiten zwei Ungarn für Schreiner, immer wieder engagiert er einen ungarischen Subunternehmer, der bei aufwendigen Projekten aushilft. Auf die 22.600 registrierten arbeitslosen Ingenieure in Deutschland ist der Incos-Chef weniger gut zu sprechen: "Bringen Sie mir die, dann stelle ich sie ein", sagt er.

Auch Ältere sind willkommen

Neulich bewarb sich ein Ingenieur aus dem Ruhrgebiet, die Unterlagen sahen gut aus. Doch der Mann konnte nicht einmal ein normales Gespräch führen oder Fragen beantworten- er hatte offenbar psychische Probleme. Andere Kandidaten wollen nur im Umkreis ihres Wohnorts arbeiten.

Man kann Schreiner nicht vorwerfen, dass er sich selbst in diese Lage manövriert hat, weil er in besseren Zeiten keinen ausbilden wollte. Für die Stellen, die nun am dringendsten fehlen, den Werkstoffprüfer, gab es bis vor Kurzem gar keine anerkannte Ausbildung.

Nun bietet der Branchenverband eine Lehre an - in Berlin. 75.000 Euro kostet Incos die Ausbildung pro Lehrling, ohne Garantie, dass der danach nicht lieber zur Konkurrenz geht oder in Berlin bleibt. Für eine Ausbildung in Ingolstadt fehlen die Einrichtungen, Lehrwerkstatt oder passende Berufsschule. 2010 wird der erste Lehrling fertig ausgebildet sein.

Auch Ältere verschmäht Schreiner nicht. Im Mai stellte er einen 59-jährigen Langzeitarbeitslosen ein, der einmal Elektriker bei Audi war. Auch einen gelernten Koch, einen Bäcker und einen Bankkaufmann lässt er Raffinerieröhren prüfen - nach zweijähriger Schulung. Kosten: Je 35.000 Euro. Es reicht trotzdem nicht.

Der Behördenweg dauert oft zu lang

Qualifizierte Ausländer könnte Schreiner also gebrauchen. Sie müssten gut Deutsch sprechen, weil sie Sicherheitshinweise verstehen müssen, die Arbeit in Raffinerien ist gefährlich. Zudem müssten sie sich in Deutschland niederlassen, weil Schreiner nicht mit Saisonkräften arbeiten kann wie beim Spargelstechen.

Die jetzige Regelung, dass Polen oder Ungarn kommen dürfen, wenn sich kein Einheimischer findet, reicht für seinen Betrieb nicht. Der Behördenweg dauere fünf bis sechs Monate - zu lang für Incos.

Fachkräfte von außerhalb der EU sieht Schreiner skeptisch, da sind zum einen mögliche Sprachprobleme, zum anderen muss die Ausbildung EU-Normen erfüllen, was beispielsweise bei Russen oder Indern nicht der Fall ist. Und in seiner Branche darf ohne entsprechende Urkunden niemand gefährliche Anlagen prüfen. Da gäbe es auch für Arbeitsagentur-Chef Zöllner nichts zu vermitteln.

© SZ vom 28.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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