Nach der Prüfung hat Ursula Güthlein noch einmal kurz mit ihrem Sohn telefoniert. Der 24-Jährige hatte an dem Tag den letzten Teil seiner Meisterprüfung abgelegt, es war ein beinahe euphorisches Gespräch. Gut gelaufen sei es, erzählte der Sohn, mit den Kollegen wolle er den Tag nun noch ein wenig genießen. Er kündigte an, das Auto in Nürnberg stehenzulassen und später nach Hause zurückzukommen. Um 23.15 Uhr ist Marc Güthlein am Bahnhof in Forchheim eingetroffen. Wenige Minuten später wurde er von einem passierenden ICE auf Gleis 2 erfasst. Er war sofort tot.
Mit Tempo 150 durch die Station - allerdings ohne Warnung: Von der Bahn werden durchrauschende ICEs nicht angesagt.
(Foto: dpa)Es gibt keine Augenzeugen für den Unfall am 30. Juli. Auch keine Kamera hat die Kollision eingefangen. Den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft zufolge muss sich der 24-Jährige ganz am Ende des Bahnsteigs aufgehalten haben, als er vom ICE erfasst worden ist. Was er dort wollte, sagt der Bamberger Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb, werde man womöglich niemals erfahren. Einen Suizid schließen die Ermittler ebenso aus wie ein Verbrechen. Neun Wochen nach dem Unfall hat die Staatsanwaltschaft nun auch die Ermittlungen gegen die Deutsche Bahn eingestellt. Am Bahnhof in Forchheim sei "keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten" festzustellen.
Ursula Güthlein steht an der Stelle, wo ihr Sohn gestorben ist. Es wird gebaut am Bahnhof in Forchheim, demnächst soll die oberfränkische Stadt von Nürnberg aus mit der S-Bahn zu erreichen sein. Während der Arbeiten am Gleis müssen die ICEs langsam fahren, zumindest tagsüber. Es ist gerade kurz nach Mittag, wenige Minuten hintereinander fahren zwei Intercitys durch den Bahnhof. Angesagt werden in Forchheim sämtliche eintreffenden Regionalzüge. Auf die durchrauschenden ICEs aber macht keine Durchsage aufmerksam. Ursula Güthlein schließt kurz die Augen. "Das macht mich so wütend", sagt sie.
Die Verkehrssicherungspflichten seien am Bahnhof Forchheim "sogar übererfüllt", betont ein Bahnsprecher. Passieren Züge einen Bahnhof mit mehr als 160 Kilometern pro Stunde, dann müssen sie angesagt werden. Ist das nicht der Fall, dann reichen die gelben Hinweisschilder. An den Pfeilern auf Bahnsteig 2 und 3 hängen in Forchheim tatsächlich sehr viele dieser Tafeln: Schaut man einen halben Meter nach oben, dann sieht man mindestens vier davon, egal an welcher Stelle man gerade steht.
Achtet man auf solche Warnschilder, fragt Andreas Frank - auf einem Bahnhof kurz vor Mitternacht? Der Mann vom Fahrgastverband Pro Bahn versucht den Überblick zu behalten über die Zahl der Unfälle, die auf kleinen Bahnhöfen wie dem in Forchheim passieren. Leicht ist das nicht, denn die Bahn dokumentiert zwar sämtliche Unfälle dieser Art und lässt sie von einem Schweizer Ingenieurbüro auswerten. Aber für die Öffentlichkeit sind diese Daten nicht bestimmt. "Bitte haben Sie Verständnis dafür", erklärt ein Sprecher des Unternehmens, "dass wir keine Zahlen preisgeben." Andreas Frank hat kein Verständnis dafür.