Heimat:Im Wandel

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Bayern gilt als konservatives Land, doch Veränderungen bleiben nicht aus. Der Dialekt schwindet und selbst die Religion verliert an Bedeutung. Der Flächenfraß verunstaltet den Freistaat, dagegen lehnen sich immer mehr Menschen auf. Ein Volksbegehren könnte Erfolg haben

Von Hans Kratzer und Christian Sebald

Bei meinen Flügen sehe ich täglich, wie dramatisch sich Bayern gerade verändert!" Das sagte der Luftbildarchäologe Klaus Leidorf, als er im Spätsommer nach einem Erkundungsflug wieder festen Boden unter den Füßen hatte. "Das Land wird immer schneller zugebaut. Da sind Dämme gebrochen", lautete sein ernüchterndes Fazit. Der Flächenfraß hat sich nach seiner Beobachtung nicht nur entlang der Autobahnen massiv beschleunigt. Selbst in der tiefsten Provinz werden neuerdings flächige Gewerbegebiete und Logistikzentren aus dem Boden gestampft. Manche sind größer als die Ortschaften, zu denen sie gehören, das zeigen Leidorfs Luftaufnahmen deutlich.

Der Flächenfraß zählt zu den größten Umweltproblemen in Bayern. Das sagen nicht nur Naturschützer und die Grünen. Deren Fraktionssprecher im Landtag, Ludwig Hartmann, hat im Sommer das bislang sehr erfolgreiche Volksbegehren "Damit Bayern Heimat bleibt: Betonflut eindämmen", gestartet. Auch immer mehr CSU-Politiker - unter ihnen Ex-Parteichef Erwin Huber und Umweltministerin Ulrike Scharf - sagen, der Flächenfraß habe ein dramatisches Ausmaß angenommen; seien es nun 13 Hektar freie Landschaft, die täglich in Baugrund umgewandelt werden, oder, nach neuer Zählart, 9,8 Hektar täglich. Sogar Noch-Regierungschef Horst Seehofer hat sich besorgt geäußert und im November von seinen Ressortchefs Gegenmaßnahmen gefordert.

In der CSU will man derzeit nicht einmal klare Vorgaben für Gemeinden und Bauherren ausschließen. Dabei bringt die Partei wieder einmal das Kunststück fertig, gegen etwas zu sein, was sie gleichzeitig befördert. Es ist der designierte Ministerpräsident Markus Söder, der allen Warnungen von Heimatpflegern und anderen Experten zum Trotz ausgeheckt hat, dass Kommunen künftig Gewerbegebiete auch an Autobahnauffahrten und an großen Bundesstraßen ausweisen dürfen sollen. Bisher ist das untersagt.

Der Landverbrauch konterkarierte in diesem Jahr den im Artikel 141 der Bayerischen Verfassung festgelegten Schutz der Heimat besonders heftig. Es scheint so, als habe der gerne zitierte Briefspruch des Philosophen Platon in der aktuellen Politik seine Relevanz verloren: "Die Liebe zur Heimat ist Selbstbeherrschung in der Lebensführung", lautet Platons Überlegung, die der Dichter Georg Lohmeier einst dahingehend auslegte, diese Maxime diene dem Wohle des Menschen, hektischer Fortschritt habe ihn aber nicht besser und nicht glücklicher gemacht. Davon unberührt, hatte die Wochenzeitung Die Zeit im Frühjahr geschrieben, das Konservative habe "nur noch eine geistige Heimat: Bayern". Was die Marienverehrung betrifft, mag dies noch einigermaßen stimmen. Die Feiern zur Ernennung der Gottesmutter Maria zu Bayerns Schutzheiliger vor 100 Jahren riefen wieder ins Gedächtnis, wie sehr der Marienkult das Land geprägt hat. Kirchen, Kapellen und Wallfahrten sind zuhauf der Gottesmutter gewidmet, selbst jetzt noch, da ein Kulturbruch eingesetzt hat, wie ihn Bayern seit der Säkularisation von 1803 nicht mehr erlebt hat. Doch leeren sich auch im Freistaat die Kirchen rapide.

Tatsächlich durchdringt der Kulturwandel auch die entlegensten Ecken der Gesellschaft. Selbst die reiche bayerische Dialektlandschaft schwindet dahin, auch wenn es die Sprachschützer nicht wahrhaben wollen, dass kaum noch ein Schulkind Dialekt spricht. Mehr Erfolg bei der Rettung kultureller Identitäten ist vielleicht dem neuen Verein Kulturerbe Bayern beschieden, der Gebäude und Landschaften von historischem Wert nach dem Vorbild des britischen National Trust bewahren will. Vor allem solche Güter die nicht, wie etwa die Limmersdorfer Lindenkirchweih, in das immaterielle Kulturerbe aufgenommen werden können.

Wie ausgeprägt in diesen Zeiten des Wandels das Bedürfnis nach bewährten Heimatmustern ist, zeigt die seit zehn Jahren im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlte Serie "Dahoam is Dahoam". Viele Zuschauer, das war beim Fantag im Oktober zu spüren, betrachten das fiktive Dorf Lansing als eine Heimat mit realem Charakter, zu der sie emotionale Bindung verspüren. So ist die Sendung ebenso ein Spiegel der Gesellschaft, wie der aus der Luft betrachtete bayerische Boden. "Nirgendwo werde einem die Dimension der Veränderung so bewusst wie beim Blick von oben", sagt Leidorf. Kaum zu sehen aber sind von dort aus die kleinen Höfe, auf denen man so viel über das Leben lernen kann. Auf dem einsamen Hof des Bauern Hans zum Beispiel, den Stefan Winkelhöfer fotografiert hat. Er fragte ihn: "Hans, was ist für dich Glück?" Hans antwortete: "Woaß i net. Dass i gsund bin und bei meine Viecher im Stall sei derf!" So viel Bescheidenheit, so wenig Ansprüche ans Leben, so viel Zufriedenheit, so wenig Enttäuschung, obwohl der Hans wahrlich kein leichtes Leben hinter sich hat - das bleibt hängen. Als "Daheimgebliebener" lebt Hans ein Leben, das partout nicht mehr in die moderne Zeit passen will. Dass da einer mit wenigen Sachen leben und glücklich sein kann. Das ist eine Freiheit, die viele nicht mehr kennen.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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