Gipfelkreuze:Wo sich Himmel und Erde berühren

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Muss auf einem Gipfel wirklich ein Kreuz stehen? Die Frage spaltet nicht nur Mitglieder des Alpenvereins. Kulturhistorikerin Friederike Kaiser erklärt, wie sich dieser sehr bayerische Brauch entwickelt hat

Interview von Christian Sebald

Im oberbayerischen Isarwinkel hat ein Unbekannter drei Gipfelkreuze umgehackt. Die Empörung ist groß, die Polizei fahndet nach einem Hasser christlicher Symbolik. Ein Gespräch mit Friederike Kaiser, der Kultur-Chefin des Deutschen Alpenvereins, über Gipfelkreuze.

SZ: Frau Kaiser, Hand aufs Herz, gehört auf einen Berg ein Gipfelkreuz? Ja oder nein?

Friederike Kaiser: Auf einen bayerischen Berg ja. In Bayern gehören Kreuze einfach zur Kulturlandschaft dazu. Das heißt aber nicht, dass auf jedem Berg ein Gipfelkreuz stehen muss. Ich war einmal auf dem Mont Blanc. Da steht keines. Ich habe es nicht vermisst.

Warum stehen auf so vielen Gipfeln Gipfelkreuze?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da gibt es nicht den einen Grund, sondern viele verschiedene Aspekte. Das kann man schon an dem ersten Gipfelkreuz überhaupt sehen, das in den Alpen aufgestellt worden ist. Das war im Jahr 1799 das Kreuz am Großglockner. Natürlich ist dieses Gipfelkreuz so wie alle anderen in den Alpen ein christliches Symbol, zumal es der Fürstbischof von Kärnten war, der die Erstbesteigung des Großglockners vorangetrieben hat. Aber es wurde auch dazu genutzt, um an ihm ein Barometer aufzuhängen und meteorlogische Messungen durchzuführen. Es hatte also mindestens zwei Zwecke.

Was sind denn die Hauptmotive für die Errichtung eines Gipfelkreuzes?

Ein Gipfelkreuz soll Gott, König und das Vaterland ehren, so hat es der Hohenpeißenberger Pfarrer Christoph Ott im Jahr 1851 in einer kleinen Broschüre geschrieben zur Aufstellung des Gipfelkreuzes auf der Zugspitze. Die Broschüre ist eine der ganz wenigen Quellen, in der eine Aussage über den Sinn und Zweck eines Gipfelkreuzes gemacht wird. Die Worte von Pfarrer Ott, so denke ich, gelten immer noch, natürlich in einem an die heutige Zeit angepassten Sinn. Gipfelkreuze sind ein Zeichen der Heimatverbundenheit, mit allem was dazugehört, natürlich dem katholischen Glauben, aber auch der innigen Bindung an die Landschaft und die Natur.

Nein, das ist nicht im Himalaja, sondern unterhalb des Schafreuter-Gipfels. Unweit von hier hat ein Unbekannter das Holzkreuz abgeholzt. (Foto: Falk Heller/imago)

Aber die religiöse Dimension spielt schon die herausragende Rolle.

Natürlich. Berggipfel galten von jeher als der Punkt, an dem sich der Himmel als Sitz des Übernatürlichen, des Göttlichen und die Erde berühren. Deshalb ist es vielleicht naheliegend, dass man auf ihnen religiöse Symbole aufstellt. Das gilt auch für andere Kulturen. Im Himalaja findet man an markanten Stellen buddhistische Gebetsfahnen. Auf dem Djebel Chambi, dem mit 1544 Metern höchsten Berg Tunesiens, steht ein roter Halbmond, der ja als Zeichen des Islam verstanden wird. Aber es muss nicht immer die religiöse Dimension sein, es kann auch eine spirituelle sein, die Gipfelkreuze zu etwas Besonderem macht.

Inwiefern?

Das kann ich nur aus meinem persönlichen Erleben schildern. Berggipfel und damit auch die Gipfelkreuze dort sind besondere Punkte, an denen man herausgehoben ist aus dem Alltag. Wenn man sie erreicht hat, dann hat man das Tagesgeschäft hinter sich gelassen und kann zur Ruhe kommen. Das ist der Grund, warum Gipfel auf mich eine besondere Ausstrahlung haben, obwohl ich nicht altbayrisch-katholisch, sondern norddeutsch-protestantisch geprägt bin.

Viele Gipfelkreuze sind Gedenkkreuze.

Ja, das gilt vor allem für die, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt worden sind. 1958 schätzte man, dass gut 60 Prozent der Gipfelkreuze aus der Zeit nach 1945 stammen. Es waren zumeist Kriegsheimkehrer, die mit ihrer Errichtung dafür danken wollten, dass sie den Krieg überstanden hatten, oder ihrer gefallenen Kameraden gedenken wollten.

Für die allermeisten Berggeher sind die Kreuze einfach das Zeichen, dass sie jetzt oben sind, dass endlich der lange, schweißtreibende Aufstieg vorbei ist.

Das Fotomotiv Bergsteiger unterm Gipfelkreuz ist der gleichsam ultimative Beweis dafür, dass man wirklich auf dem Berg war. Die Aussage ist immer die gleiche: "Ich bin es, der hier oben ist, ich habe es wirklich geschafft." Das gilt für Freizeit-Wanderer genauso wie für tatsächliche Alpinisten. Wir haben unendlich viele solche Fotos in unserem Alpenvereins-Archiv.

Was ist mit den Touristikern, spielen die auch eine Rolle, wenn ein Gipfelkreuz aufgestellt werden soll?

Bisweilen sicher, da brauchen Sie sich nur das mehrstöckige, fast 30 Meter hohe Gipfelkreuz auf der Buchensteinwand in den Kitzbüheler Alpen ansehen, mit seinen Aussichtsplattformen und Seminarräumen. Dieses Gipfelkreuz wird ja systematisch als Attraktion und Ausflugsziel beworben. Da steht der touristische Aspekt ganz vorne.

Wie steht der Deutsche Alpenverein zu Gipfelkreuzen?

Wir haben dazu keine offizielle Position. Und unter unseren 1,13 Millionen Mitgliedern wird es jede Position geben - von der emphatischen Verehrung bis zur strikten Ablehnung, so wie das in der übrigen Gesellschaft auch der Fall sein wird. In unserer täglichen Arbeit spielen Gipfelkreuze eigentlich keine Rolle. Man kann ja noch nicht einmal abschätzen, wie viele es gibt, da wird ja keine Statistik geführt. Aber natürlich bekommen wir immer mal wieder Briefe und E-Mails von Leuten, die grundsätzlich gegen Gipfelkreuze sind und uns auffordern, dass wir dafür sorgen, dass sie alle abmontiert werden.

Welche Gründe führen diese Leute an?

Weltanschauliche, also dass sie nicht einsehen, warum ein Gipfel von einem christlichen Symbol beherrscht wird. Aber auch ästhetische, die Gipfelkreuze sind für sie eine Verschandelung der Landschaft, aus ihrer Sicht sollten die Berge möglichst unberührt bleiben. Es gibt aber auch Briefschreiber, die uns auf marode Gipfelkreuze hinweisen, verbunden mit der Bitte, dass wir uns um die Sanierung kümmern.

Und was antworten Sie ihnen?

Dass wir als Alpenverein nicht für die Gipfelkreuze zuständig sind. Dass sie sich an die jeweiligen Gemeinden wenden sollen, auf deren Flur sie stehen. Denn es sind meist lokale Initiativen, die ein Gipfelkreuz aufstellen. Da sind natürlich Alpenvereinsmitglieder dabei, aber auch Bergwachtler, Sportvereine, Almbauern, Jugendgruppen und alle möglichen anderen Vereinigungen, die im Leben der Bergdörfer eine wichtige Rolle spielen.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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