Giftmord-Prozess von Augsburg:Belastendes Gutachten

Lesezeit: 2 min

Im Augsburger Giftmord-Prozess hat der Psychiater die Angeklagte für schuldfähig befunden. Sie sei "selbstbezogen und verführerisch".

Stefan Mayr

Tanja E. sitzt auf der Anklagebank und beobachtet den Prozess mit ihren großen blauen Augen. Ihr Gesicht ist blass, die Kleidung schwarz. Als sie mit ihrer Anwältin flüstert, huscht ihr ein einziges Mal ein Lächeln übers Gesicht. "Ist das witzig?", zischt eine Zuschauerin im wie immer vollbesetzten Schwurgerichtssaal des Augsburger Landgerichts.

Die Angeklagte soll aus Habgier ihren Ehemann vergiftet haben, der von ihr betrogen wurde und sich scheiden lassen wollte. (Foto: Foto: ddp)

Der Prozess um den vermeintlichen Giftmord von Königsbrunn ist noch bis 19. Dezember terminiert, doch längst hat die Öffentlichkeit ihr Urteil gefällt, längst ist der sogenannte Giftmord-Prozess zur Giftmord-Show degeneriert. "Hier wurden Bereiche des Sexuallebens meiner Mandantin genüsslich zelebriert", kritisiert Verteidiger Gerhard Decker, "ich weiß nicht, was das zur Aufklärung der Tat beigetragen haben soll."

Seine Mandantin, eine 31-jährige Mutter zweier Kinder, soll aus Habgier ihren Ehemann vergiftet haben, der von ihr betrogen wurde und sich scheiden lassen wollte. Ihr mitangeklagter ehemaliger Liebhaber Andre H. soll bei der Beschaffung und Verabreichung der tödlichen Medikamenten-Mixtur geholfen haben. Er ist geständig, wirft seiner ehemaligen Freundin aber vor, sie sei die treibende Kraft gewesen und habe ihn durch ständige Drohungen zur Mittäterschaft genötigt.

"Das war eine nicht alltägliche Beziehungs-Konstellation", sagt Landgerichtsarzt Richard Gruber, der am Montag sein psychologisches Gutachten vorlegte. Er bezeichnet Tanja E. als "selbstbezogene Kippfigur", die "das Bedürfnis nach Kontrolle und Dominanz" habe. Ihr "überproportioniertes Streben nach Aufmerksamkeit" habe sie mit "manipulativem und verführerischem Verhalten" befriedigt. Gruber konstatiert bei der Angeklagten eine "selektive Wahrnehmung", Dissonanzen mit der Realität mache sie sich "passend".

Letzteres ist am Montag unfreiwillig durch den letzten Beweisantrag ihrer Verteidigung bestätigt worden. Ein Rettungssanitäter sollte aussagen, dass er die Angeklagte 1997 behandelt habe, nachdem sie von ihrem Mann geschlagen worden sei. Doch das einzige, was der Zeuge zu Protokoll geben kann, ist das Bekenntnis, dass er mit ihr damals eine Affäre hatte - und nicht einmal im Bett blaue Flecken oder ähnliches entdeckte.

Beim Mitangeklagten Andre H. stellt Gutachter Gruber Verlust- und Versagensängste fest, deshalb bemühe er sich "sehr um Akzeptanz, Anerkennung und Liebe". Selbstschutz-Mechanismen habe er dabei nicht entwickelt, deshalb sei es "durchaus vorstellbar, dass er in eine geschwächte Position" geraten sei. Ein Kriminalpolizist formuliert es im Zeugenstand etwas deutlicher: "Er war ihr total hörig, er hat ihr aus der Hand gegessen wie eine Marionette."

Eine krankhafte psychische Störung der Angeklagten stellt der medizinische Gutachter allerdings nicht fest, er erklärt beide für uneingeschränkt schuldfähig. Daraufhin stellt der Richter fest, dass bei der Beschuldigten eine besondere Schwere der Schuld in Betracht komme. Das würde bei einer Verurteilung zu lebenslanger Haft bedeuten, dass sie nach 15 Jahren nicht vorzeitig entlassen werden könnte.

Das Gelächter der Zuhörer

Die ermittelnden Kriminalpolizisten bekräftigen im Zeugenstand ihre Zweifel an der Aussage der Angeklagten, die nach wie vor jede Tatbeteiligung von sich weist. Tanja E. beteuert, dass sie zwischen ihrem Notruf und dem Eintreffen der Sanitäter ihren Mann reanimiert, ihre Freundin angerufen, die Haustür geöffnet, den Notfallkoffer geholt und einen intravenösen Zugang gelegt habe.

"Es ist schon erstaunlich, was man in sieben Minuten alles schaffen kann", sagt ein Beamter - und erntet hierfür Gelächter im Zuhörerraum. Wie auch schon in den Tagen zuvor, als mehrere Zeugen über ihre sexuellen Kontakte zur Angeklagten aussagten.

Die Verteidiger des Mitangeklagten haben nun neue Beweisanträge gestellt. Sie fordern ein weiteres pharmakologisches Gutachten zur Todesursache sowie die Vernehmung dreier Mithäftlinge der Angeklagten. Sollte das Gericht diese Anträge abweisen, könnten bereits die Schlussplädoyers gehalten werden. In diesem Fall würde das Urteil wohl noch in dieser Woche fallen.

© SZ vom 04.12.2007/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: