Geisterzüge in Nürnberg:Mit Radar durch den Untergrund

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Die erste führerlose U-Bahn Deutschlands fährt jetzt in Nürnberg. Die finanzielle Bilanz ist bislang desaströs.

Olaf Przybilla

Einmal bereits hat die Stadt Nürnberg Verkehrsgeschichte geschrieben - das war im Jahr 1835, als dort der Adler, Deutschlands erste Dampflokomotive, anrollte. Folgt man Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), so soll von Franken aus nun abermals ein Transportmittel seinen Siegeszug antreten.

Zug ohne Zugführer (Foto: Foto: AP)

In Nürnberg ist am Wochenende die erste führerlose U-Bahn Deutschlands in Betrieb gegangen. Funktioniert das von Siemens entwickelte System reibungslos, so könnten demnächst Geisterzüge auch durch Paris und Brüssel düsen.

Kundenbetreuer statt Zugführer

Die Einführung der Bahn ohne Fahrer klappte jedoch zunächst alles andere als reibungslos. Angekündigt war die Metro ursprünglich für den Sommer 2006. Zur Fußball-WM wollte sich die Stadt im Erfolg einer "technischen Weltneuheit" sonnen. Daraus wurde nichts.

Knapp zwei Jahre lang mussten Anwohner auf drei längst fertiggestellte Bahnhöfe der Nürnberger U3 starren, ohne dass sich im Schacht irgendein Zug bewegt hätte. Erst mit 22 Monaten Verspätung gelang es Siemens nun, die Bahn störungsfrei zum Rollen zu bringen. Das Vertrauen in den Geisterzug hat das nicht eben gestärkt. Was ist, wenn ein Mensch ins Gleisbett fällt? - das war auch am Tag der Eröffnung die am häufigsten zu hörende Frage.

Die Metrobetreiber halten dergleichen Urängste für unbegründet: Zum Einsatz kommt in Nürnberg ein Radarsystem, das den Zug schneller zum Stehen bringen soll, als dies ein Fahrer je könnte.

Der Radar soll jeden Fremdkörper im Gleis in Sekundenbruchteilen erkennen und stoppen - mit Ausnahme von Zeitungsseiten, Plastiktüten und Tauben. Auch sonst versuchen sie in Nürnberg, die Fahrt im Geisterzug so freundlich wie möglich zu gestalten.

Die Waggons sind heller als in herkömmlichen Zügen, aus dem Panoramafenster vorne sieht man warm beleuchtete Kurven auf sich zukommen. Jeder Wagen ist mit Kameras bestückt, drückt einer den Alarmknopf, so erscheint sogleich ein Videobild aus dem Waggon auf dem Bildschirm der Leitstelle.

Andere Städte sind weiter

Die eingesparten Zugführer sollen als Kundenbetreuer auf den Bahnhöfen eingesetzt werden. Das "subjektive Sicherheitsgefühl" werde durch die neue Technik sogar noch steigen, hofft deshalb Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD).

Das Imageproblem, das selbst die Betreiber zwischenzeitlich einräumten, dürfte dadurch aber nicht vom Tisch sein. Knapp zehn Millionen Euro Vertragsstrafe muss Siemens aufgrund der Verzögerung zahlen, ein Betrag, den die Grünen noch für aberwitzig gering halten. Als einzige Partei opponierten sie von Anfang an gegen die Züge, für deren Betrieb bislang bereits 325 Millionen Euro aufgewendet werden mussten - eine desaströse Bilanz für lediglich drei neue U-Bahnstationen.

Ohnehin mag die Euphorie, die der Geisterzug in Franken auslöst, aus der Sicht von Städten wie Lille oder Kopenhagen merkwürdig wirken. Schließlich fahren dort Metros zum Teil schon seit Jahrzehnten ohne Zugführer.

Was die Neuerung aus Nordbayern so interessant machen soll für Städte mit konventionell betriebener U-Bahn, ist freilich nicht die Führerlosigkeit an sich. In Nürnberg bewegen sich weltweit erstmals bemannte und unbemannte Metros gleichzeitig auf einer gemeinsamen Strecke.

In Lille etwa fahren ausschließlich führerlose Bahnen. Die Angst, ins Gleisbett zu fallen, ist dort indes wesentlich geringer - Gleise und Bahnsteig sind durch eine Glaswand voneinander getrennt.

© SZ vom 16.06.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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