Fleisch in der Bauernküche:Vom Braten bis zur letzten Borste

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Eine noch heute beliebte Spezialität ist das Gansjung, das hier noch in der Beize ruht. (Foto: Gillemot)

Von wegen gute alte Zeit: In den Bauernküchen unserer Vorfahren dominierten Kraut, Rüben und Kartoffeln. Fleisch kam seltener in die Töpfe, als man denkt. Und wenn, dann entstanden daraus Gerichte wie Hirnsuppe, Entenjung oder Doagknödel. Mahlzeit!

Von Hans Kratzer

Die Deutschen sind eine fleischfressende Nation, deren Bürger im Schnitt 60 Kilo Fleisch pro Jahr und Nase vertilgen. Dem allgemeinen Fleischatlas ist außerdem zu entnehmen, dass ein Deutscher im Laufe seines Lebens 945 Hühner, 46 Schweine, 46 Puten, 37 Enten, zwölf Gänse und je vier Rinder und vier Schafe verzehrt.

Unsere Urgroßeltern würden angesichts dieser Mengen ungläubig den Kopf schütteln. Gerade Fleisch war bis vor einigen Jahrzehnten ein sehr knappes und kostbares Gut. Sogar auf den Bauernhöfen waren Fleischgerichte keine Selbstverständlichkeit. Zum einen, weil auf kleineren Höfen nur einmal im Jahr geschlachtet wurde, zum anderen, weil das Fleisch nur unzureichend gelagert werden konnte. "Man ging deshalb auf dem Land sehr sparsam mit Fleisch und Speck um und verwertete ein Schwein bis zur letzten Haarborste", sagt die Journalistin Steffi Kammermeier, die vor Jahren den Dokumentarfilm "Was hamma gessn?" gedreht hat, der von den Gepflogenheiten und Ritualen rund ums Essen in der guten alten Zeit handelte.

Bäuerliche Kochkultur

Für ihre Recherchen zum Land- und Küchenleben in alter Zeit begab sich Frau Kammermeier in die Landshuter Gegend, wo ihre Vorfahren einst einen Bauernhof bewirtschaftet und schriftliche Aufzeichnung zur bäuerlichen Kochkultur von anno dazumal hinterlassen hatten. Weil sie dieses Thema nicht mehr losließ, hat die Autorin ihre Erkenntnisse nun auch in einem Buch über das Landleben und seine exotischen Produkte wie Hirnsuppe, Entenjung und Doagknödel niedergelegt. Einen großen Platz nehmen dabei alte Rezepte aus der Zeit von 1870 bis 1950 ein, welche die Bäuerinnen schriftlich hinterlassen haben. Sie erlauben faszinierende Einblicke in das Küchenleben früherer Zeiten und erinnern an Spezialitäten, die mit den jetzigen Großmüttern endgültig aus dieser Welt verschwinden werden, obwohl sich darin faszinierende Kochfertigkeiten aus langen Jahrhunderten verdichten.

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Eine Bäuerin hat zum Beispiel in einem Notizbüchlein alles festgehalten, was es auf ihrem Hof zu essen gegeben hat. Vermutlich war sie als junge Frau durch die unerbittlichen Anforderungen auf dem Hof unter Druck gestanden, immerhin mussten auf einem großen Hof ganze Heerscharen an hungrigem Dienstpersonal bekocht werden. Da durfte nichts schief gehen. So sind diese Aufzeichnungen nicht nur ein Zeitzeugnis der bäuerlichen Küche, sondern auch eine Fundgrube für alte Bräuche und für die Sprache einer durch und durch bäuerlich-katholisch geprägten Welt ohne Medien und ohne Bequemlichkeit.

Der tägliche Eintopf

Die Küche mit der Feuerstelle war auf einem solchen Bauernhof der wärmste Ort im Haus. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde noch am offenen Feuer gekocht. An einem Haken über der Feuerstelle konnte zusätzlich ein großer Kessel eingehängt werden, in dem der tägliche Eintopf zubereitet wurde. "Da is neigschmissn wordn, was halt grad heimbracht habn: Kraut und Rüben, Wurzelwerk, Gemüse und anderes mehr. Manchmal is auch bissl a Speck neijkommen oder a Brocken Fleisch", zitiert Steffi Kammermeier einen Verwandten, der den kargen Alltag noch erlebt hat.

Statt eines Cheeseburgers bekam ein junger Mensch vor hundert Jahren lediglich ein Kartoffelgemüse vorgesetzt, das laut dem Rezept der Maria Spanner von 1887 so zubereitet wurde: "Man schällt die Kartofeln ab, thut Schmalz u. Fleisch in einen Tegel die Kartoffeln Petersiel Kraut Zwiebl hinein lässt es gut dünzen, zerührt es recht fein auch kann man ein baar Kochlöffeln voll Mehl hineinthun u. anlauf lassen alsdann rührt man es fein mit Fleischsuppe ab und lässt es aufkochen. Beim Anrichten schmalzt man es mit braunen Semelbröseln auf dan es ganz bedeckt ist, dann gibt man es zu Tisch. Auch muss man Butter od. Schmalz hinein thun."

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Die Mengen, die auf den Tisch kamen, waren in Erntezeiten, in denen körperlich schwer gearbeitet wurde, durchaus beachtlich. Die Knechte und Mägde waren erschöpft, hatten viele tausend Kalorien verbraucht und mussten wieder zu Kräften kommen. Oft gab es eine aufgeschmelzte Brotsuppn, eine geröstete Griessuppn oder eine geriebene Teigsuppn. In der Dreschsaison wurden für das Abendessen sogar Hühner geschlachtet, damit Fleisch und Nudeln in die Hühnersuppe gegeben werden konnten. Ein kulinarischer Festtag war stets der Schlachttag, an dem abends Leber- und Blutwürste mit Sauerkraut und Kartoffeln aufgetischt wurden, und am nächsten Tag obendrein Presssack und Sulz mitsamt den Röstkartoffeln.

Ein Sinnbild des Lebens

Wer Frau Kammermeiers Schilderung des Sauschlachtens liest, bekommt einen Eindruck davon, warum diese Schlachttage in Zeiten, in denen stets der Hunger vor der Tür stand, als ein Sinnbild des Lebens schlechthin gegolten haben - als ein Ur-Ereignis, wie es in dem Film "Jagdszenen aus Niederbayern" von 1969 szenisch für die Ewigkeit konserviert ist.

So nähert sich der Leser mit gebührendem Respekt alten Gerichten wie Rehragout, Entenjung und Teigsuppe, über die der moderne Fast-Food-Junkie höchstens noch die Nase rümpft. Größere Akzeptanz genießen wenigstens noch Mehlspeisen wie Auszogne, Dampfnudeln und Zwetschgenbavesen, aber auch deren Vielfalt hat unter dem Verführungsdruck des industriellen Süßzeugs stark gelitten. Insofern ist das von Frau Kammermeier ausgebreitete Potpourri des früheren Lebens und Essens ein Sinnbild jener guten alten Zeit, die es nie gegeben hat.

Steffi Kammermeier, Was hamma gessn? Vom Landleben in alter Zeit, Volk Verlag, 19,90 Euro.

© SZ vom 05.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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