Felssturz: Stein an der Traun:Suche nach der Zukunft

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Mutter und Sohn überlebten den Felssturz von Stein an der Traun, Vater und Tochter starben. Wie die Familie weiter leben wird, ist unklar - die Spendenbereitschaft ist riesig.

Karin Prummer, Traunreut

Schon kurz nachdem er wieder zu Bewusstsein gekommen ist, hat der 16-jährige Leon Baumgartl diese Fragen gestellt: Was ist mit unserem Haus passiert? Was mit der Schwester, was mit dem Vater? Fragen, auf die es nur grausame Antworten gibt. Die hätten sie ihm gerne ein wenig länger erspart, sagt Hermann Schätz, sein Opa. Doch Leon wollte es wissen, also zeigten sie ihm Fotos von der Stelle, an der vorher sein Zuhause war. Dort liegt jetzt ein riesiger Fels, Schutt, rund herum steht ein grüner Bauzaun, davor flackern Kerzen im Schnee.

Der Fels hat vom Haus der Familie Baumgartl kaum etwas übrig gelassen. (Foto: Foto: dpa)

Eine Woche ist vergangen, seit in Stein an der Traun ein Hunderte Tonnen schwerer Fels auf das Haus der Familie fiel, es in Trümmer legte, den Familienvater Peter, 45, und die Tochter Sophie, 18, erdrückte. Seit die Mutter Ursula, 40, und der Sohn Leon schwerverletzt aus den Trümmern geborgen wurden.

Enorme Spendenbereitschaft

Eine Woche, die nicht reicht, um das Geschehene zu begreifen. Fassungslosigkeit ist noch immer das Gefühl, das in Traunreut vorherrscht, als sich Leons Opa, Vater der schwerverletzten Mutter und ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, am Freitag vor die Mikrophone setzt. Bemüht gefasst, mit zitternder Stimme. Neben ihm sitzen Bernhard Schätz, der Bruder der verletzten Mutter, der Bürgermeister, ein Geologe, der Klinikleiter.

Es ist der Versuch, über die Medien danke zu sagen: Mehr als 150.000 Euro für die Familie sind auf den Spendenkonten schon zusammengekommen. "Das ist überwältigend, genauso wie der Einsatz der Helfer", sagt Hermann Schätz, und das, obwohl man doch immer wieder höre, dass soziale Kälte herrsche.

Auf das Konto der Bürgerstiftung Traunsteiner Land kann noch einige Wochen gespendet werden. Aber Schätz hat auch eine Bitte: Am Dienstagnachmittag findet auf dem Traunreuter Waldfriedhof eine Trauerfeier statt. Sie solle bitte dem Familien- und Freundeskreis vorbehalten sein. Es ist keine Beerdigung, die kommt erst, wenn auch die beiden Verletzten dabei sein können.

Noch geht es ihnen zu schlecht, sie liegen nebeneinander auf der Intensivstation des Klinikums Traunstein. Fünf oder sechs Operationen haben Mutter und Sohn jeweils überstanden, genauso viele werden noch folgen, sagt Rupert Ketterl, Chefarzt des Klinikums, "damit sie sich wieder selbständig bewegen können". Nicht die Knochenbrüche seien das Problem, sondern die Verletzungen von Weichteilen, die Quetschungen und die mangelnde Durchblutung, weil sie stundenlang eingeklemmt in den Trümmern lagen.

Beide werden wieder ihren Beruf ausüben können - die Mutter ist Mitarbeiterin der evangelischen Jugendstelle, der Sohn bereitet sich auf das Fachabitur vor. Es sei aber nicht auszuschließen, dass Einschränkungen bleiben, sagt der Arzt. Seelisch geht es dem 16-jährigen Sohn besser als seiner Mutter, sie werde wohl noch ein paar Tage auf der Intensivstation bleiben müssen.

Die schwere Zeit nach der Therapie

Beide wissen, dass ihr Vater und Ehemann, ihre Tochter und Schwester tot sind. "Ich möchte nicht darüber reden, nur überleben." So beschreibt der Chefarzt den Zustand der Frau. "Das große Problem wird sein, wenn sie aus der Therapie entlassen werden", sagt er und schaut zu den beiden Angehörigen, die neben ihm sitzen. "Dann sind Sie stark gefordert." Hermann Schätz senkt den Kopf und nickt.

Mit fester Stimme beantwortet er die Frage, ob es denn wirklich keine Warnzeichen für den Felssturz gegeben habe: Es seien zwar ab und zu "ein paar Steinchen" heruntergefallen. Aber: "Mein Schwiegersohn hat seine Familie geliebt. Er war ein sehr gewissenhafter Mensch und hätte kein Risiko zugelassen, wenn eine Gefahr bestanden hätte." Die Schlossbrauerei, unmittelbar neben dem zerstörten Haus gelegen, hat einen Geologen beauftragt: Klaus Smettan sagt, nun werden die Ausbruchsränder gesichert, seinen Untersuchungen zufolge gebe es für die Anwohner ansonsten "keine Hinweise auf eine akute Gefahr".

Worte, nach denen Schätz den Kopf schüttelt: "Das Schicksal hat blindwütig zugeschlagen." Seine Enkelin Sophie hätte im Sommer Abitur gemacht. "Die Facharbeit war fertig, und die Steine kamen." Alles, was unter ihnen noch zu finden war, steht in Kisten auf dem Traunreuter Bauhof. Helfer haben die Bücher und Fotos aus den Trümmern gezogen. Noch war keine Zeit, das durchzusehen, sagt Schätz. Mehrmals am Tag fahre er ins Krankenhaus. Wo die beiden Verletzten nach ihrer Entlassung leben werden, sei ungewiss. "Ohne unsere Tochter können wir keine Entscheidungen treffen. Sie ist im Moment außerstande, über Perspektiven zu reden."

Leon aber will mit Freunden sprechen, wissen, wie es weitergeht. Behutsam fangen sie mit ihm zu planen an, sagt Bernhard Schätz. Seine Stimme bricht. "Er geht tapfer mit der Situation um, für einen 16-Jährigen unglaublich."

© SZ vom 2. Februar 2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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