Fall Kalinka:Folgenschwere Pannen

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Mit 14 Jahren starb das Mädchen. Danach folgten eine Reihe mysteriöser Ereignisse, eine Entführung und mehrere Verurteilungen

Von Isabel Meixner

Die Umstände des Todes von Kalinka Bamberski sind mysteriös. Die 14-Jährige ist nach einem Tag Schwimmen im Bodensee bei bester Gesundheit, als ihr Stiefvater, der Arzt Dieter Krombach, ihr in seinem Haus im Landkreis Lindau ein Eisenpräparat spritzt, angeblich weil sie unter Anämie leidet. Am kommenden Morgen ist das Mädchen tot. Krombach versucht nach eigenen Angaben noch, sie mit verschiedenen Injektionen wiederzubeleben - zu einem Zeitpunkt allerdings, an dem die Leichenstarre schon erkennbar eingesetzt hatte.

Nach dem Tod kommt es zu folgenschweren Pannen: Bis zur Autopsie, die erst 60 Stunden später stattfindet, wird die Leiche nicht gekühlt. Die Rechtsmediziner finden einen bereits faulenden Körper vor, was die Untersuchungen erschwert. Bei der Obduktion wird ein Riss im Genitalbereich entdeckt, ihm wird aber nicht weiter Beachtung geschenkt. Auch wird weder ein Vaginalabstrich auf Sperma untersucht noch Herzblut auf ein mögliches Gift. Auch die Bettwäsche wird nicht sichergestellt. Kalinkas Vater André Bamberski will diese Fehler rückgängig machen und erwirkt drei Jahre nach Kalinkas Tod, dass ihre Leiche in Frankreich exhumiert wird. Ihre Genitalien finden sich allerdings nicht im Grab. Möglicherweise waren sie bereits verwest oder - wie Bamberski vermutet - sie wurden nach der Obduktion in Deutschland unterschlagen.

Die Staatsanwaltschaft Kempten jedenfalls findet die Todesursache des Mädchens nicht heraus, das Oberlandesgericht München erklärt 1987 den Fall für endgültig erledigt, weil man Krombach nichts werde nachweisen können. 1997, zehn Jahre später, steht der deutsche Arzt dann doch vor Gericht, allerdings in einem anderen Fall: Er soll mit einer 16-jährigen betäubten Patientin geschlafen haben. Er wird deshalb wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger verurteilt. Für André Bamberski wird das Ziel, Krombachs Schuld zu beweisen und ihn hinter Gitter zu bringen, zur Obsession, der er seinen Beruf und sein Vermögen opfert. Er erreicht 1995 einen Gerichtsprozess in Frankreich, in dem Krombach in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt wird. Der Cour d'Appell in Paris sieht es als erwiesen an, dass das Eisenpräparat für den Tod des Mädchens verantwortlich war. Doch nach Frankreich wird Krombach nicht ausgeliefert, er lebt weiter in Deutschland in Freiheit. Als Bamberski 2009 fürchtet, dass sein jahrzehntelanger Kampf erfolglos und der Tod seiner Tochter ungesühnt bleiben könnte, greift er zum letzten Mittel: die Entführung. Krombach wird von Bamberskis Helfern vor seinem Haus im Landkreis Lindau abgepasst, zusammengeschlagen, gefesselt und geknebelt mit Knochenbrüchen und Blutergüssen vor dem Gerichtsgebäude im elsässischen Mülhausen abgelegt.

Die Entführung führt zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Deutschland und Frankreich. Krombachs Verteidigung spricht von Selbstjustiz und "Justiz-Nationalismus" und fordert, dass eine Straftat nicht Ausgangspunkt für einen Prozess sein dürfe. Doch der Cour d'Appell lässt sich von dem Protest nicht abhalten: Krombach wird, diesmal in Anwesenheit, erneut der Prozess gemacht, wieder lautet das Urteil 15 Jahre ohne Bewährung. Aber auch für Bamberski und seine Helfer bleibt die Entführung nicht folgenlos: Der Vater erhält als Anstifter ein Jahr auf Bewährung, seine Komplizen kommen ein Jahr in Haft.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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