Sie sind laut, ziemlich betrunken und auf den ersten Blick unglaublich peinlich. Doch hier, in quasi natürlicher Umgebung, fallen sie gar nicht auf. Junge Frauen mit Bauchladen und Teufelshörnchen, die Passanten überreden, ihnen Kondome abzukaufen oder Männern die Schildchen aus den Boxershorts schneiden, sind im NV Club, nicht weit vom Münchner Odeonsplatz, ganz normale Gäste.
So viele wie dieses Jahr gab es aber noch nie. Das sagen alle, die an diesem Samstag hier feiern. Motto-Shirts mit Handschellen darauf, Army-Uniformen und pinke Hawaiiketten dominieren das Bild. In einer Ecke wird einem Mann von seiner zukünftigen Ehefrau die Brust enthaart, sieben Smartphones filmen das Geschehen.
Am Eingang steht Felix Nunn, 23, er hat ein orangefarbenes T-Shirt an, um ihn herum steht eine Gruppe nüchterner, sehr junger Leute, auch sie in Orange. Felix ist im Stress. Alle zwei Minuten klingelt sein Handy, Dutzende abgegriffene Zettel mit Buchungsnummern darauf fallen ihm jedes Mal fast aus der Hand. Dass Felix so gefragt ist, hat einen einfachen Grund. Er hat erkannt, dass sich mit Junggesellen und Junggesellinnen richtig Geld verdienen lässt und dass die Trauzeugen, die traditionell den letzten Abend in Freiheit ausrichten, mit der Organisation zunehmend überlastet sind. Eine echte Marktlücke.
Dass Felix sie entdeckt hat, war Zufall. Vor etwas mehr als zwei Jahren gründete er mit einem Freund eine Firma namens Pub Crawl Munich. Die beiden hatten einen Bericht über Pub Crawls in Berlin und London gesehen und wollten in das Geschäft mit den organisierten Kneipentouren einsteigen. Sie sprachen mit Klubbesitzern, mit Partybus-Unternehmern, legten ihre orangefarbenen Flyer in Hostels aus - und das Geschäft lief. Aber es lief langsam. Einige Touristen kamen zum Pub Crawling ("crawl" heißt übersetzt übrigens kriechen), aber nie so viele, dass man von ihnen leben konnte.
Seit einem Jahr bietet die Firma jetzt Abschiedsfeiern für Junggesellinnen und Junggesellen an. Seither hat sich der Umsatz vervielfacht. Die Zahl ist so hoch, dass Felix sie nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Trauzeugen buchen am liebsten das Rundum-Sorglos-Paket. Mit seinen mittlerweile 15 Angestellten sorgt Felix dann dafür, dass alles nach Plan läuft. Jeder Abend beginnt im NV Club, allein sechs solcher Gruppen sind es an diesem Samstagabend. Sie trinken an reservierten Tischen, der erste Schnaps ist frei. Später geht es mit dem Party-Bus oder einer Limousine zur Kultfabrik, dem Diskotheken-Park im Münchner Osten. Hier stehen noch mal mindestens zwei Klubs auf der Liste, gern mit Table Dance.
4713 Ehen wurden 2011 in München geschlossen, dieses Jahr wird es ähnlich sein, allein im August heirateten 542 Paare. Das sind aber nicht unbedingt diejenigen, die in der Fußgängerzone anzutreffen sind. Den Junggesellinnenabschied feiern viele einige hundert Kilometer weit weg von daheim - und als Ausflugsziel steht München hoch im Kurs. Daher gehören die jungen Frauen mit den Bauchläden inzwischen zum Sommer wie die Rikscha-Fahrer am Marienplatz und die Slacklines im Englischen Garten - fast scheint es, als würden es jedes Wochenende mehr.
"Ganz typisch" sei diese Gruppe, hat Felix schon am Telefon angekündigt, "volles Programm halt." Manuela hat die Feier gebucht, sie kommt aus Österreich. Ihre beste Freundin Sandra heiratet in einer Woche, sie ist zu erkennen an ihrem weißen Schleier. An diesem Abend regnet es in Strömen, dem Schleier hat das nicht gut getan. Eine 19-jährige Abiturientin, die die gut zehn Jahre älteren Frauen betreut, hat orangefarbene Regenponchos ausgeteilt, doch die würden jetzt nicht besonders gut passen.
Denn die Freundinnen wollen gut aussehen. Zu zweit oder zu dritt räkeln sie sich auf einer pinken Stretchlimousine, die hervorragend zu ihren pinken Hawaiiketten passt. Die Limousine ist unter einem Dachvorsprung geparkt, nass werden sie trotzdem, schließlich ist der Wagen schon eine halbe Stunde mit ihnen durch den Regen gefahren. Felix springt im Regen herum und macht Fotos.
Patrick Toß schaut ein bisschen besorgt zu, wie die recht fülligen Frauen auf seiner Motorhaube Bewegungen aus Hip-Hop-Videos nachtanzen. Der 29-Jährige fährt fast jedes Wochenende Junggesellinnen durch die Stadt - die pinke Limousine ist prädestiniert dafür. "Die Abschiede machen 40 Prozent unseres Umsatzes aus", sagt sein Chef, Michael Kayal, der die Marktlücke mit den Junggesellen ebenfalls früh erkannt hat und bei dem Felix die Limousinen bucht. Kayals Fuhrpark wächst stetig.
Er hat andere Limousinen, doch die pinken sind am beliebtesten und werden fast nur von Junggesellinnen gebucht. "Das sind schon verrückte Hühner" lacht Kayal, "manche haben Gummipuppen und Handschellen dabei und feiern können sie noch wilder als die Männer." Ihm gefällt das, auch die Fahrer hätten ihren Spaß. Patrick hält den Mädchen die Tür auf, als sie nass und kichernd ins Auto fallen. Dort gehen Schnapsflaschen herum. Das Radio mahnt "One day Baby we'll be old". "Jetzt geht's in den Strip-Klub", flüstert Manuela verschwörerisch. Dann verschwindet die Limousine im Regen.
Felix fährt mit der U-Bahn hinterher. Ob er selbst auch so feiern würde? Fremde Stadt, Hotel, Drinks und Stripperin, alles im Voraus bezahlt? Der Student zögert. "Wahrscheinlich nicht." Lieber würde er mit Freunden ein paar Tage in die Berge fahren. "Ich weiß nicht, so 'ne Stripperin, der am selben Abend schon vier Jungs Sahne vom Hintern geleckt haben, das müsste ich nicht haben." Doch natürlich steht er zu seinem Geschäft, findet cool, was er und ein Kumpel auf die Beine gestellt haben. Sobald er seinen Bachelor in Soziologie und Psychologie hat, will Felix sich voll auf das Geschäft mit den Junggesellen konzentrieren. Pub Crawls mit Jugendlichen, die sich auf dem Weg zur zweiten Bar übergeben, kann man nicht ein Leben lang machen.
Nightlife Experts, so soll seine Firma in Zukunft heißen, die auch bald ein hochklassiges Abendprogramm für Geschäftsreisende anbieten will, Yacht statt Party-Bus. "Wir kennen uns aus in der Stadt, wissen, wo man Rabatte bekommt, reservieren gute Tische und sorgen dafür, dass man beim Getränkebestellen schnell dran kommt." Felix sieht es so: Er und seine Guides garantieren, dass der Abend - so wie ihn die Kunden eben wünschen - perfekt wird.
Und sie bringen Umsatz in die Läden. Im Table-Dance-Club wird er von einem Mädchen in Unterwäsche freundlich begrüßt. Sandra und Manuela sind schon da. Aufmerksam verfolgen sie die Bühnenshow. Felix fragt nach ihren Wünschen, trägt sich in die Warteliste ein. Keine zehn Minuten später sind sie an der Reihe. Eine kleine Sofa-Ecke mit Stange in der Mitte, die Freundinnen dürfen sich setzen. Sandra soll sich an die Stange stellen.
Irgendetwas geht dabei schief. Sandra knallt hart auf den Boden und bleibt erstmal benommen liegen, Felix stellt sie wieder auf die Füße. Nach einer kurzen Diskussion - Felix hatte einen schwarzen Stripper bestellt, jetzt wollen sie doch einen weißen - beginnt die Show. Sandra wäre es wohl nicht recht, wenn die nächsten Minuten wiedergegeben würden. Die Handy-Videos ihrer Freundinnen sind genug. Ein Junge in Orange läuft kopfschüttelnd vorbei. "Die heiratet am Samstag, kannst du dir das vorstellen?"
Zwei Uhr morgens, die Kellnerin bringt frische Cocktails vorbei. Die anderen Gruppen aus dem NV Club sind auch wieder da. Bald werden sie das Lokal wechseln, "open end" steht auf dem Flyer. Die Guides bestellen Getränke und schießen Fotos: Sandra und ihre sechs besten Freundinnen tanzen eng umschlungen um die Stange, dazwischen ein durchtrainierter Mann in Shorts. Natürlich knabbert er einer von ihnen am Ohr, natürlich imitieren sie Posen, die sie von Rihanna kennen. Wie das aussehen muss, wenn man so richtig hart feiert, das weiß jeder, das kann jeder nachmachen.
Felix hat es mittlerweile so oft gesehen, dass er die Namen und Gesichter kaum auseinander halten kann. Eigentlich könnte er jetzt nach Hause gehen, sein nächster Termin ist in etwa sieben Stunden. Auch die Guides mit ihren 400-Euro-Jobs sind nur bis zwei Uhr verpflichtet. Doch wer im Nachtleben arbeitet, weiß, wie relativ Uhrzeiten sind. Felix braucht seine Regeln und das straffe Programm vor allem für Kunden, mit denen er nicht so richtig klarkommt: "Wenn der Abend und die Gruppe gut sind, ist im Prinzip alles möglich. Nur kann man das nicht im Voraus buchen oder bestellen."