Eschenau:Protokoll eines Martyriums

Lesezeit: 2 min

In ihrem Buch beschreibt Missbrauchsopfer Heidi Marks die Schreckenszeit in Eschenau.

Olaf Przybilla

Das Buch, das Heidi Marks geschrieben hat, ist momentan nur in der Bamberger Buchhandlung Hübscher zu erwerben, in einer limitierten Auflage von 250 Exemplaren. Es heißt "Als der Mann kam und mich mitnahm", die Geschichte eines Missbrauchs. Die US-Amerikanerin Marks erzählt darin, wie sie im März 2007 eine Reise ins fränkische Dorf Eschenau antrat, ihren Heimatort.

Jahrelang wurde Heidi Marks in ihrem Heimatort Eschenau sexuell missbraucht. (Foto: Foto: ddp)

Wie sie erkennen musste, dass sich einer ihrer ehemaligen Peiniger auch weiterhin an Eschenauer Mädchen verging. Wie sie nach einer Anzeige von der sogenannten Dorfgemeinschaft aus dem Ort getrieben wurde, ihre Schwester wegziehen musste. Und wie ihr Peiniger Alfred G. im Sommer 2007 vor dem Landgericht Bamberg einräumte, sich an ihr vergangen zu haben - seitdem sie vier Jahre alt war.

Zum Urteilsspruch trug das Geständnis nichts bei, der Fall Marks lag 46 Jahre zurück und war verjährt. Nachdem aber in der Folge weitere vier Opfer aussagten, an denen sich Alfred G. ebenfalls vergangen hatte, wurde er zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Eine Revision wurde verworfen, das Urteil ist rechtskräftig.

Von einer Einstweiligen Verfügung ist das Buch trotzdem bedroht, erklärt Jürgen Horbach, der Geschäftsführer des Kölner Fackelträger-Verlags. Denn die 50 Jahre alte Lehrerin erzählt im Buch nicht nur, wie sie ihr erster Peiniger aus der Nachbarschaft missbrauchte - sondern auch, wie sich nach zehn Jahren Martyrium ein zweiter Nachbar an ihr verging, bis sie in die Diakonie nach Neuendettelsau flüchtete.

Dieser zweite Mann, ein angesehener Großbauer, hat sich erhängt, nachdem Marks und eine weitere Eschenauerin ihn der Vergewaltigung beschuldigten. Selbst Schöffe bei Gericht, musste er wohl wissen, dass die Anschuldigungen keine juristischen Folgen für ihn haben würden - beide Fälle waren längst verjährt. Trotzdem nahm er sich das Leben, und bezichtigte die beiden Frauen in einer Abschiedsnotiz der Lüge.

Der Anwalt Heinz Veauthier wird seither nicht müde, die Vorwürfe für frei erfunden zu erklären. Das Opfer sei vielmehr die Witwe des Bauern. Niemand kann derzeit ausschließen, dass die Witwe in einem womöglich bevorstehenden Streit um das Buch Recht bekommt. Denn zu einem rechtskräftigen Urteil gegen den Bauern kann es nicht kommen - gegen einen Verstorbenen wird nicht mehr ermittelt.

Einstweilen zeigt sich Veauthier erstaunt über das vorläufig nur in einer Bamberger Buchhandlung erhältliche Werk: "Ich dachte bislang, dass kein Buch erscheinen wird", sagt Veauthier.

Heidi Marks war vier Jahre alt, als der Mann aus dem Nachbarhaus begann, sie zu missbrauchen (Foto: Foto: privat)

Ob das Buch von Heidi Marks in größerer Auflage auf den Markt kommen darf, ist völlig offen. Sie erzählt darin in berührenden Worten, durch welche Hölle sie gegangen ist - ohne als Vierjährige einen Begriff für diese Hölle zu kennen.

Bewusst war ihr dagegen anderes: "Die Meinung der Dorfbewohner spielte ein große Rolle. Immer hieß es: Was werden da die Nachbarn sagen? Was werden da die Leute denken?" Weil ihr Peiniger drohte, ihre Eltern würden sie "mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagen", entschied sich das Mädchen zu schweigen. "Es dauerte immer eine Weile, bis ich die Gedanken wieder kontrollieren konnte, alles verdrängen, um dann nach Hause zu gehen, als sei nichts geschehen."

Dass Marks 46 Jahre später den Mut fand, doch noch zu sprechen, könnte ein "Signal der Ermutigung" für viele Frauen sein, denen es ganz ähnlich erging, sagt die Journalistin Susanne Will. Sie berichtet im zweiten Teil des Buches, mit welch archaischer Wucht sich die Welt in Eschenau seit einem Jahr verändert hat. Eine Geschichte, schreibt Will im Buch, von "Dürrenmattscher Dimension".

© SZ vom 02.04.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: