Entlassung aus der Psychiatrie:Allein in die Freiheit

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Das Bezirkskrankenhaus Mainkofen (Archivbild) (Foto: N/A)

Er hatte sich drei Mal vor jungen Mädchen entblößt: Dafür saß Landwirt Franz Xaver E. ein Drittel seines Lebens in der Psychiatrie. Nach 19 Jahren lang soll er nun endlich frei kommen - doch niemand hat ihn darauf vorbereitet.

Von Hans Holzhaider

Fast ein Drittel seines Lebens hat der ehemalige Landwirt Franz Xaver E. in der geschlossenen Psychiatrie verbracht. Ein Leben, nicht unähnlich dem Leben im Gefängnis, nur dass der Betroffene "Patient" genannt wird, und nicht "Gefangener". Am 18. Juli 1995 verurteilte das Landgericht Passau Franz Xaver E. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, weil er in drei Fällen in Sichtweite von 12- bis 13-jährigen Mädchen sein Geschlechtsteil entblößt hatte.

Weil ein Psychiater bei E. eine Persönlichkeitsstörung feststellte, wurde die Strafe nicht vollstreckt und der Verurteilte stattdessen in den Maßregelvollzug eingewiesen. Jetzt, fast 19 Jahre später, wird Franz Xaver E. endlich wieder in Freiheit kommen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Deggendorf hat entschieden, dass E. am 30. November entlassen werden muss, auch wenn zu erwarten sei, dass E. möglicherweise erneut exhibitionistische Handlungen begehen wird. Eine weitere Vollstreckung, so das Gericht, sei "nicht zuletzt im Lichte der hierzu ergangenen verfassungsrichterlichen Rechtsprechung" als unverhältnismäßig anzusehen.

Noch vor einem Jahr - also nach 18 Jahren Maßregelvollzug - hatte dieselbe Kammer entschieden, dass sich "der weitere Vollzug der Maßregel noch nicht als unverhältnismäßig darstelle". In diesem Jahr allerdings hat sich viel ereignet - vor allem die Diskussion um den Fall Gustl Mollath, der wegen einer mutmaßlichen Körperverletzung sieben Jahre im Maßregelvollzug saß. Selbst die bayerische Justizministerin Beate Merk hatte die Dauer des Maßregelvollzugs im Fall Mollath als unverhältnismäßig bezeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor schon in einem anderen Fall entschieden, dass bei einer Abwägung der verschiedenen Interessen dem Freiheitsanspruch ein umso größeres Gewicht zukomme, je länger eine freiheitsentziehende Maßnahme andauert. Erstritten wurde diese Entscheidung von dem Deggendorfer Anwalt Hubertus Werner, der jetzt auch Franz Xaver E. vertritt. Der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts schloss sich nun auch das Deggendorfer Gericht im Fall Franz Xaver E. an. Nach einer derart langen Vollzugsdauer komme "dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten Vorrang vor dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit zu".

Eine gute Nachricht für Franz Xaver E. - aber so richtig freuen kann er sich trotzdem nicht. Die 19 Jahre in der geschlossenen Psychiatrie haben aus ihm einen zutiefst verbitterten, misstrauischen und unglücklichen Menschen gemacht. Irgendeine Therapie findet schon längst nicht mehr statt. "Die Behandlung stagniert seit vielen Jahren", heißt es im Gerichtsbeschluss. "Die Kammer geht davon aus, dass sich die Situation durch die zunehmende Hospitalisierung des Verurteilten eher noch verschärfen wird."

Um Franz Xaver E. nach so langer Zeit "nicht völlig unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen", hat das Gericht die Entlassung erst für den 30. November angeordnet. Bis dahin, so heißt es in dem Beschluss, gelte es, "einen geeigneten sozialen Empfangsraum vorzubereiten".

Geschehen ist aber bisher nichts, obwohl die Klinik im niederbayerischen Mainkofen schon seit einem Jahr wissen musste, dass Franz Xaver E. nicht mehr ewig in der Psychiatrie bleiben konnte. Im September 2012 hatte die Strafvollstreckungskammer "ausdrücklich" darauf hingewiesen, "dass im Hinblick auf den zwischenzeitlich langen Unterbringungszeitraum und erkennbare Hospitalisierungstendenzen der Zeitpunkt einer Entlassung des Verurteilten aus Verhältnismäßigkeitsgründen näher rückt". Schon damals äußerte das Gericht die Erwartung, "dass in absehbarer Zeit ein geeigneter sozialer Empfangsraum für ihn bereitet werden kann", und dass E. durch Vollzugslockerungen - also Ausgang oder Urlaub - auf die Entlassung vorbereitet werden müsse.

"Etwaige Verfahrensverzögerungen", hieß es in dem damaligen Beschluss, "würden sich voraussichtlich als kontraproduktiv darstellen." Trotz dieser deutlichen Mahnungen hat die Klinikleitung in Mainkofen bisher nichts unternommen, um Franz Xaver E. auf die Freiheit vorzubereiten. Ein einziges Mal - am 12. Juni 2013 - durfte E. in Begleitung eines Pflegers einen Spaziergang auf dem Klinikgelände unternehmen. Das Klinikgelände hat er - außer zum Transport von einer in die andere Anstalt - seit vielen Jahren nicht mehr verlassen.

Die Klinikleitung gibt Franz Xaver E. selbst die Schuld daran, dass ihm keine Lockerungen gewährt wurden. Es sei immer wieder zu "Eskalationen" gekommen, heißt es im Bericht der Klinik, E. sei in solchen Momenten "emotional aufgewühlt, aufbrausend und gereizt", er habe auch Drohungen gegen das Pflegepersonal ausgesprochen. Manchmal habe er "regelrecht Wutanfälle entwickelt". Er habe auch in Gegenwart von Mitpatienten onaniert - allerdings erwähnt die Klinikleitung auch, dass es in der Anstalt für die Patienten, außer der Toilette, keinerlei Rückzugsmöglichkeit gibt. E. ist in einem Dreierzimmer untergebracht; so etwas wie eine Privat- oder gar Intimsphäre gibt es im Haus C 8 des Bezirksklinikums Mainkofen nicht.

Der Beschluss, dass Franz Xaver E. entlassen werden muss, erging am 22. August. Die Frist bis zum Entlassungstermin betrug also nur gut drei Monate - verzweifelt wenig Zeit, um einen Mann, der seit 19 Jahren von der Außenwelt abgeschottet war, auf ein Leben in einer völlig veränderten Umgebung vorzubereiten. Aber selbst von dieser knappen Frist verstrichen die ersten vier Wochen völlig ungenutzt. Chefarzt Johannes Schwendtner war in Urlaub oder auf Gerichtsterminen unterwegs, und offensichtlich fühlte sich niemand in der Klinik bemüßigt, sich um Franz Xaver E. zu kümmern. Wegen der "Erregungszustände" des Patienten seien Lockerungen "nicht vertretbar" gewesen, sagte Schwendtner zur SZ. Jetzt allerdings würden "Lockerungen angedacht".

© SZ vom 27.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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