Entführungsfall in der Türkei:"Zur Zeit geht es eher schlechter"

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Zusammen mit neun weiteren Alpinisten ist der Sohn des entführten Abensbergers Helmut H. nach Bayern heimgekehrt. Er macht sich große Sorgen um die drei Geiseln.

Stefan Mayr

Die Landung am Flughafen München ging vollkommen abgeschirmt von der Öffentlichkeit vonstatten. Am Freitagabend gegen 22 Uhr kehrten die zehn Bergsteiger vom Deutschen Alpenverein (DAV) von ihrer Expedition zum Berg Ararat heim, die am Dienstag mit der Geiselnahme dreier Männer aus ihrer Gruppe jäh abgebrochen wurde.

Die zehn Bergsteiger der DAV-Sektion Kelheim sind am Freitagabend streng abgeschirmt aus der Türkei nach Bayern zurückgekehrt. Zuvor landeten sie in Van in der Osttürkei, wo Fotografen noch zugelassen waren. (Foto: Foto: dpa)

Klaus H., der die Entführung seines Vaters Helmut miterlebt hatte, fuhr sofort in seine Heimatstadt Abensberg, wo er sich um seine Frau, zwei Kinder und vor allem Mutter Ingrid kümmert, die um das Leben ihres Mannes bangt. "Ihr geht es mal besser und mal schlechter", sagt Klaus H., "zur Zeit eher schlechter". Erst kürzlich sei die Mutter von Ingrid H. verstorben, bestätigt ein Freund der Familie.

Helmut H. hatte die Expedition auf den höchsten Berg der Türkei bereits seit 2007 vorbereitet. Als die 13 Männer und Frauen am 29. Juni Richtung Ararat abflogen, galt die Region im Dreiländereck Türkei-Armenien-Iran als sicheres Touristenziel. Hätte es daran einen Zweifel gegeben, dann hätte H. als Sektionschef und Organisator die Reise wohl abgesagt. Schließlich wird der 65-Jährige allenthalben als äußerst besonnener und verantwortungsvoller Mensch bezeichnet, der kein unnötiges Risiko eingeht.

Dank statt Vorwürfe

Erst als Helmut H. und zwei weitere Mitglieder seiner Gruppe gekidnappt worden waren, sprach das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für den Südosten der Türkei aus. Doch die Frage, ob die Entführung durch rechtzeitige Informationen der vorgewarnten Behörden hätte verhindert werden können, beschäftigt Klaus H. derzeit nicht. Er macht den Behörden keinen Vorwurf. Im Gegenteil. "Wir danken den türkischen und deutschen Behörden und vor allem der Botschaft in Ankara für ihre hervorragende Unterstützung", sagt Klaus H.

Alle anderen Rückkehrer geben keine Auskunft. Dies haben die Freunde aus Ingolstadt, Riedenburg, Dietfurt, Peising und Weltenburg nach Rücksprache mit dem Bundeskriminalamt (BKA) so abgesprochen. In der ersten Nacht habe er "kurz, aber gut" geschlafen, berichtet Klaus H. "Ich war erstmal froh, sicher und unversehrt zuhause zu sein, aber meine Sorge gilt natürlich meinem Vater und meinen Freunden Lars und Martin."

Martin S. lebt seit zehn Jahren im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing. In Lokalzeitungen berichten Nachbarn, dass der alleinstehende 47-Jährige sehr zurückgezogen und freundlich sei. Eine Nachbarin soll von der Schwester des Entführten per Telefon verständigt worden sein, dass dessen Vater kürzlich gestorben sei. Davon wisse Martin S. bis heute nichts. Beruflich ist der Diplom-Ingenieur wie Helmut H. bei der Bayernoil-Raffinerie in Neustadt tätig.

Freiwillig in Haft

Auch die dritte Geisel Lars R. war als Ingenieur bei Bayernoil beschäftigt, ehe er 2007 als Produktionsleiter zur Saline nach Bad Reichenhall wechselte und nach Laufen im Berchtesgadener Land zog. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP wurde Lars R. erst vor neun Monaten Vater, Frau und Kind des 33-Jährigen befänden sich derzeit im Ausland.

Die Entführung am Abend des 8. Juli verlief nach inoffiziellen Berichten durchaus ungewöhnlich. Offenbar drangen fünf bewaffnete PKK-Kämpfer in das Basislager auf 3200 Metern Höhe ein und riefen die Bergsteigergruppe zusammen. Dann hätten die Entführer die Deutschen entscheiden lassen, wer sich freiwillig in Geiselhaft nehmen lassen wolle. Es sei keinerlei Gewalt angewendet worden. "Sie sind zuvorkommend behandelt worden", zitiert die Mittelbayerische Zeitung den Angehörigen eines Augenzeugen, der nicht genannt werden wollte. Nach Anweisung des BKA dürfen inzwischen keine Beteiligten mehr Auskunft über den Verlauf der Entführung geben.

Der Deutsche Alpenverein schickte ein vierköpfiges Kriseninterventionsteam in die Türkei - zusätzlich zu den Experten des Auswärtigen Amtes. Die Erfahrung zeige, dass es wegen der gemeinsamen Leidenschaft Bergsteigen einen leichteren Zugang zu den Betroffenen gebe, begründet der DAV die Entsendung. Zwei DAV-Helfer begleiteten die Rückkehrer auf ihrem Heimflug, zwei stehen in der Ararat-Region auf Abruf bereit, falls die Gefangenen freikommen.

Die Entführer der kurdischen Rebellenorganisation PKK kündigten eine schnelle Freilassung an, sobald Deutschland "seine feindliche Politik gegenüber dem kurdischen Volk und der PKK" beende. Die Bundesregierung wies diese Forderung zurück, ein schnelles Ende der Geiselnahme gilt deshalb als unwahrscheinlich. Ob es einen direkten Kontakt zu den Kidnappern oder ein Lebenszeichen der Entführten gibt, ist unklar. Die einzige Auskunft des Auswärtigen Amtes lautet: "Der Krisenstab arbeitet weiterhin intensiv an einer bedingungslosen und sofortigen Freilassung."

© SZ vom 14.07.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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