Entführung in Starnberg:Befreiungsaktion mit Sprengstoff

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Zwei Entführer hielten einen 83 Jahre alten Mann zwölf Stunden gefangen - aus Furcht vor einer Zwangsversteigerung.

M. Warkocz, C. Deussing und A. Ramelsberger

Die Herrschaften kannten sich vom Tennisspielen, sie waren lange Jahre im gleichen Verein. Deswegen dachte sich der 83 Jahre alte Notar nichts Böses, als es am Sonntagmorgen bei ihm klingelte und ein älteres Ehepaar freundlich fragte, ob er sich nicht ein Urteil anschauen wolle, das gegen sie in einem Immobilienstreit erlassen worden war. Der alte Herr sagte zu, er wolle zuvor nur noch schnell in die Sonntagsmesse.

Mit einem Hubschrauber observierte die Polizei das Wohnviertel in Starnberg, in dem der Rentner gefangen gehalten wurde (Archivbild). (Foto: Foto: ddp)

Danach fuhren die Drei zum Haus des Ehepaares in den Ludwig-Thoma-Weg 1 in Starnberg. Doch kaum begann der Notar die Unterlagen zu sichten, bedrohte ihn das Ehepaar mit einer Pistole. Das Paar zwang den früheren Tenniskameraden in den Keller und kettete ihn dort an einer Metallschelle an der Wand an. Über zwölf Stunden lang hielten sie den Notar im Keller gefangen und drohten mit seinem Tod. Erst dann befreite ein Sondereinsatzkommando der Polizei am Montagmorgen, kurz nach Mitternacht, die Geisel.

Die Schulter ausgekugelt

Ein Hubschrauber kreiste über dem Wohnviertel. Nachbarn hörten gegen 0.30 Uhr einen Knall. "Ich dachte zuerst, es ist ein Gewitter, aber es war wohl eine Sprengung", sagte ein Rentner. Über 100 Polizisten waren im Einsatz, sie umzingelten das Gebäude, sprengten die Türen auf, stürzten sich auf die Entführer. Dabei wurde dem Geiselnehmer die Schulter ausgekugelt. Im Keller fanden sie den alten Mann, unversehrt. "Ein nervenstarker Mann, ein sehr stabiler Charakter", sagt Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer.

Die Geiselnehmer waren offensichtlich verzweifelt: Dem 66 Jahre alten Diplomingenieur und seiner 59 Jahre alten Ehefrau sollte das eigene Haus gepfändet werden, weil sie sich durch einen über zehn Jahre andauernden Rechtsstreit in eine finanziell aussichtslose Lage gebracht hatten. Nach SZ-Informationen hatte das Ehepaar gehofft, dass ein Zwangsversteigerungsverfahren um ihr Grundstück am Ludwig-Thoma-Weg eingestellt wird, das auf einen Verkehrswert von rund einer halben Million Euro taxiert wird.

Doch das Amtsgericht Weilheim wies den Antrag des Paares zurück, das daraufhin Beschwerde beim Oberlandesgericht München eingelegt hatte. Daher gibt es auch bislang keinen Termin für die Zwangsversteigerung. Wie zu erfahren war, sind weitere Verfahren um Immobilien anhängig, die das Ehepaar betreffen - das sich von der Justiz offenbar stets ungerecht behandelt fühlte.

Streit um das Erbe

Ursprung der jahrelangen Prozesslawine war der Streit um das Erbe der Ehefrau. Ihre Mutter hat ein wertvolles Haus in Grünwald, ein Notar hatte angeblich bei der Beurkundung des Erbes einst einen Fehler gemacht. Seitdem versuchte das Ehepaar sein Recht und einen finanziellen Ausgleich in Millionenhöhe herbeizuprozessieren. Es gelang ihm nicht.

Da kam es offenbar auf die Idee, dass mit einem Notar als Geisel die Justiz vielleicht nachgeben würde. Der 83-Jährige wurde mit einer Pistole bedroht, dass es sich dabei nur um eine Schreckschusswaffe handelte, wusste er nicht. In einem unbeobachteten Moment aber konnte der alte Mann mit seinem Handy seine Tochter anrufen. Die verständigte sofort die Polizei. Doch bis die Ermittler herausfanden, in welchem Keller der Mann gefangen gehalten wurde, dauerte es.

"Erpresserische Handlung"

Die Geiselnehmer versuchten inzwischen Druck auf die Kreditgesellschaft auszuüben, bei der sie Schulden hatten und die die Zwangsvollstreckung angestrengt hatte. Dabei war die Polizei eingeschaltet. "Es handelte sich um eine klassische erpresserische Handlung", erklärt Polizist Kammerer. "Sie erklärten, dass sie eine Person in ihrer Gewalt haben, der sie etwas antun könnten. In den Verhandlungen zeigten sie sich nicht bereit, sich zu ergeben oder den Mann freizulassen."

Um Mitternacht entschloss sich die Polizei dann zur Befreiungsaktion. Der Gesundheitszustand des 83-Jährigen, der unter großem psychischen Druck stand, sei ausschlaggebend gewesen. Der Mann wurde ins Krankenhaus gebracht, ist aber bereits wieder entlassen. Das Täter-Ehepaar wurde am Montag dem Haftrichter vorgeführt. Beide verweigerten jede Aussage zu den Hintergründen.

© SZ vom 12.05.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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