Eishallenunglück von Bad Reichenhall:Der Moment, in dem die Welt einstürzte

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Nachdem bislang die Schuld der Angeklagten im Mittelpunkt des Prozesses stand, schildern jetzt erstmals Überlebende, wie sie den Einsturz der Eishalle im januar 2006 erlebten.

Heiner Effern

Die ersten Trümmer des Eishallendachs sah Roman S. am Eingang herabstürzen. Er floh auf die andere Seite der Eisfläche, warf sich zu Boden, nahm die Hände über den Kopf. "Es gab einen extremen Aufschlag, alles hat vibriert, dann war es stockdunkel. Ein Vater hat noch eine Zeitlang nach seinem Kind gerufen, dann war es still."

Archivaufnahme: Räumungsarbeiten nach dem Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall (Foto: Foto: ddp)

Anfangs hielt er noch die Hand seiner Schwester, die mit einem gebrochenen Wirbel in der Klappmesser-Haltung eingeklemmt war, und munterte sie auf. Doch dann kamen die ersten Fragen. "Reicht der Sauerstoff? Wie fühlt es sich an, wenn man erstickt? Rutscht noch etwas nach?" Der damals 19-Jährige begann zu schreien und mit der Faust gegen ein Blechteil zu schlagen. Immer wieder, die Hand war blutig und blau, als ihn Feuerwehrleute nach eineinhalb Stunden geborgen hatten.

Das Sprunggelenk von Roman S. war zertrümmert, sein Schlüsselbein auch. Seinen Beruf als Verkäufer kann er nie mehr ausüben. "Wenn es irgendwo kracht, bekomme ich noch heute Herzrasen." Und dennoch sagt er über den 2. Januar 2006: "Wir haben Glück gehabt." Denn seine Schwester und er überlebten, während drei Frauen und zwölf Kinder beim Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall starben.

Das Leid der Hinterbliebenen und Überlebenden

Gut zwei Jahre danach sitzt der junge Mann auf dem Zeugenstuhl vor dem Landgericht Traunstein keine fünf Meter entfernt von den drei Männern, die am Einsturz der Eishalle schuld sein sollen. Die Staatsanwaltschaft hat den Statiker Walter G., 67, den Architekten Rolf R., 64, und den Bauingenieur Rüdiger S., 54, der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen angeklagt.

Zwei Verhandlungstage lang hatten ihre Verteidiger sich juristische Streitereien mit den Staatsanwälten geliefert, wodurch das Leid der Hinterbliebenen und Überlebenden in den Hintergrund gedrängt worden war. Doch am vierten Prozesstermin wurden die Maßstäbe wieder zurechtgerückt.

Wie nah Glück und Leid am 2. Januar 2006 um kurz vor vier Uhr zusammenlagen, zeigte sich an den Zeugenaussagen zweier Mütter. Die eine schilderte, wie sie mit ihren drei Söhnen überlebte. Sie hätten Glück gehabt, der jetzt 14-jährige Sohn habe zwar mit einem Leberriss um sein Leben gekämpft - aber gewonnen.

Inge B. musste zusehen, wie das Dach über ihrer einzigen Tochter zusammenstürzte. Sie wollte die 13-jährige Anne-Kathrin abholen. Eine Viertelstunde kam sie zu früh und sah durch eine Glasscheibe auf die Eisfläche hinab. Natürlich hatte die Tochter wieder einmal den Schal, den ihr die Mutter empfohlen hatte, abgelegt. Sie scherzte gerade mit einem Buben.

"Dann kam die Decke einfach herunter, ganz langsam, für mich beinahe lautlos. Wie ein Schneeflocke." Der erste Gedanke: "Das war's jetzt." Der zweite: "Du musst runter, du musst was tun." Mit einer anderen Mutter ging sie in die Halle, doch schnell bemerkte sie: "Mit meinen zwei Händen habe ich keine Chance." Inge B. ging raus, fuhr ihr Auto vom Eingang weg und wartete zwölf Stunden mit nur einem Gedanken im Kopf: "Kriege ich mein Kind lebend oder zerbrochen?" Anne-Kathrin konnte nur tot geborgen werden.

Razzia wegen vermisster Statik

Bevor Überlebende und Hinterbliebene diese Wahrnehmungen vom Unglückstag schildern konnten, wies Oberstaatsanwalt Günther Hammerdinger nochmals den Vorwurf der Verteidiger zurück, er würde Beweismaterial unterdrücken und Zeugen nachvernehmen, um nicht ins Konzept passende Aussagen vor Gericht zu revidieren.

Man habe mit der Razzia am 20. Februar Hinweisen nachgehen müssen, dass eventuell doch eine geprüfte Statik existiere, sagte Hammerdinger. Dies sei aber nicht der Fall. Die beschlagnahmten Unterlagen habe man rechtzeitig beim Landgericht Traunstein eingereicht.

Und den Zeugen, der von einer vergeblichen Suche der Stadt nach der Prüfstatik Ende der achtziger Jahre berichtet habe, habe man tatsächlich nochmals vernommen. Träfe dessen Aussage zu, bestehe der Verdacht, dass sich Bedienstete der Stadt "ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben könnten". Der Prozess wird am 18. März fortgesetzt.

© SZ vom 29.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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