Eishallen-Prozess von Bad Reichenhall:Schock und Ungläubigkeit

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Der Prozess um den Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall hat lange gedauert - die Urteile rufen bei den Hinterbliebenen Entsetzen hervor.

Heiner Effern, Traunstein

Einen ganz kurzen Augenblick herrscht im dichtbesetzten Saal C33 des Landgerichts Traunstein absolute Stille. Juristen, Angeklagte, Hinterbliebene und Prozessbesucher stehen ohne Regung, die Gesichter voller Anspannung und Konzentration, um die entscheidenden Worte nach 28 Verhandlungstagen aufnehmen zu können: Der Vorsitzende Richter Karl Niedermeier verurteilt den Statiker Walter G., 68, wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren.

Der Baukonstrukteur Walter G. (rechts) und sein Anwalt Harald Baumgärtl im Sitzungssaal 33 des Landgerichts in Traunstein. (Foto: Foto: dpa)

Der Architekt Rolf R., 64, und der Bauingenieur Rüdiger S. werden freigesprochen. Schlagartig gefrieren die Gesichter der meisten Hinterbliebenen zu starren Masken, unbeweglich vor Schock und Ungläubigkeit.

Der einzige Verurteilte Wolfgang G. nimmt das Urteil ohne sichtbare Regung zur Kenntnis, wogegen sich in den Zügen von Rüdiger S. ungläubige Erleichterung langsam Bahn bricht. Man sieht dem Bauingenieur an, dass er Tränen nur mit Gewalt zurückhalten kann. Rolf R. steht mit dem Rücken bewegungslos zu den Zuschauerplätzen; er hat den ganzen Prozess kaum Einblick in seine Gefühle gewährt.

Die an das Urteil direkt anschließende Begründung dauert nur 43 Minuten. In knappen Worten erklärt Richter Niedermeier, dass drei Verfehlungen des Statikers Walter G. das Unglück mitverschuldet hätten: Fehler in der statischen Berechnung, das Anwenden einer gesetzlich nicht zugelassenen Konstruktionsweise und seine mangelnde Überwachung der Subunternehmer.

Er hätte nach Ansicht des Gerichts als verantwortlicher Fachbauleiter kontrollieren und dann auch feststellen müssen, dass die Firmen entgegen seiner Anweisung die 48 Meter langen Träger aus drei Stücken fertigten und bei der Verklebung einen falschen Leim verwandten.

Das von der Staatsanwaltschaft gerügte Fehlen einer Prüfstatik sieht das Gericht nicht als zweifelsfrei erwiesen an. Diese Erkenntnis kommt auch den anderen beiden Angeklagten zugute. Architekt Rolf R. konnte von einem solchen Versäumnis nichts wissen und hätte auch später nicht davon erfahren müssen, als er wegen Spenglerarbeiten am Dach nochmals mit dem Gebäude befasst war.

Einen Freispruch dieser Güte erhielt Rüdiger S. nicht: Bei ihm stellte das Gericht durchaus eine Pflichtverletzung fest, als er in einer Studie 2003 dem Dach einen guten Zustand bescheinigte. Doch sieht die Traunsteiner Strafkammer darin keine zweifelsfreie Ursache für den Einsturz.

Fast alle Hinterbliebenen reagierten nach Prozessende entsetzt. "Wir sind doch selbst schuld, dass wir unsere Kinder in die Halle gelassen haben. Genau diese Botschaft nehme ich mit", sagt eine Mutter, deren Kind in der Eishalle verstorben ist. "Armes Deutschland, wir sind schockiert. Recht haben und recht bekommen ist nicht das Gleiche", sagte Dagmar Schmidbauer, die zwei Töchter verloren hat.

"Ein Hammer, Wahnsinn, da gehst du zehn Monate hin, und dann kommt nichts raus", fügt ihr Mann Robert hinzu. Einzig Robert Schromm, dessen Frau Michaela in der Eishalle getötet worden ist, freut sich. "Ein großartiger Sieg. Jetzt müssen die wahren Verantwortlichen in der Stadt Bad Reichenhall angegriffen werden", fordert er. Der einzige Abgeurteilte sei ein Bauernopfer.

Das sieht auch dessen Verteidiger so: "An einem bleibt jetzt alles hängen. Wir werden die Revision prüfen", kündigt Harald Baumgärtl an. Während sich Rolf R. auch nach seinem Freispruch nicht äußert, versucht Rüdiger S. mit immer wieder wegbrechender Stimme Worte für seine Erleichterung zu finden. "Ich bin froh, aber das kann man nicht von heute auf morgen abschließen. Das dauert noch lange."

Die Staatsanwaltschaft sieht das Urteil mit gemischten Gefühlen. "Bei der Verurteilung ist das Gericht uns voll gefolgt, das ist positiv. Negativ sind die Freisprüche, wir werden eine Revision prüfen." Da mehrere Parteien eine Überprüfung der Urteile durch den Bundesgerichtshof angekündigt haben, besitzen die Richtersprüche noch keine Rechtskraft.

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