Eingeständnis eines Sozialdemokraten:Mein Sohn, der Nazi

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Michael Flood möchte Bürgermeister von Wunsiedel werden - für die SPD. Doch es gibt da ein Problem: die Gesinnung seines Sohnes.

Olaf Przybilla

Michael Flood sagt, er habe viel versucht. An lange verstörende Debatten erinnert er sich. Als er sich gar nicht mehr zu helfen wusste, schickte er seinen Sohn zum Jugendpsychiater. Seitdem kennt Flood, Rechtsanwalt in Wunsiedel, den Intelligenzquotienten seines Sohnes. Einen Wert von 144 attestierte ihm der Psychiater, weit über dem Durchschnitt.

Neonazis in Wunsiedel während eines Gedenkmarsches zu Ehren des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess (Foto: Foto: AP)

Flood will nicht sagen, dass ihn das als Vater noch mehr beunruhigt hat. Stolz gemacht aber hat es ihn auch nicht, eher noch verzweifelter. Sein Sohn, Schüler am Luisenburg-Gymnasium im fränkischen Wunsiedel, wird im Januar 18 Jahre alt. Von sich selbst sagt er, er sei ein "bekennender Nationalsozialist".

Auf einer Veranstaltung in der Fichtelgebirgshalle in Wunsiedel hat Flood, 47, im vergangenen Jahr bekannt, dass sein Sohn ein Neonazi sei. Viele in der Stadt konnten das nicht verstehen. "Ich fand es, gelinde gesagt, auch ziemlich problematisch", sagt der Direktor des Gymnasiums, Bruno Kraus. 400 Zuhörer waren an dem Tag in der Halle, vor allem Schüler des Gymnasiums.

Die Bürgerinitiative "Wunsiedel ist bunt, nicht braun" hatte zur Diskussionsrunde geladen, und Flood erklärte an jenem Abend, fortan öffentlich über die Gesinnung seines Sohnes sprechen zu wollen. Ein neuer Faschismus zerreiße in Wunsiedel ganze Familien, darauf wolle er hinweisen.

Dass die Gesinnung seines Sohnes auch eine Katastrophe für ihn als Rechtsanwalt ist, will Michael Flood nicht verheimlichen - "und als Bürgermeister-Kandidat ist das schon dreimal eine Katastrophe". Flood ist Sozialdemokrat, im März wird er gegen den Amtsinhaber von der CSU antreten.

"Ich bin ja nicht blöd"

Im Wahlkampf, sagt der SPD-Mann, wäre er jederzeit angreifbar gewesen, hätte er das Thema zu verheimlichen versucht. Flood ist in der Bürgerinitiative gegen Rechts nicht irgendein Mitglied. Er hat die Satzung der Initiative mitgeschrieben.

Sein Sohn Andreas (Vorname geändert) trägt ein Palästinensertuch um den Hals. Mit dem Irokesenschnitt ähnelt er eher einem Punker. Unter der Voraussetzung, ihn nicht zu fotografieren, gibt er in einer Schülerkneipe bereitwillig ein Interview. In der Kleinstadt wisse seit dem Auftritt seines Vaters ohnehin jeder über ihn Bescheid, sagt er.

Fotos von ihm aber könnten ihm schaden, weil er nach dem Abitur studieren will. Ein Studium der Geschichtswissenschaft schwebe ihm vor, denn im Fach Geschichte habe er praktisch immer schon eine Eins gehabt. "Haben Sie irgendwelche weltanschaulichen Fragen?", will er wissen und referiert über sein Leben als Neonazi.

Um die Zukunft des deutschen Volkes müsse er sich kümmern, gemeinsam mit den Gesinnungsgenossen von der freien Kameradschaft Hochfranken, auf deren Internetseite "Säuberungsaktionen" angepriesen werden. Man dürfe sich das nicht als "Aktion gegen Asylantenheime" vorstellen, sagt er und lacht, als hätte er gerade einen guten Witz gemacht.

Den Kameraden gehe es vielmehr um die Sauberkeit deutscher Spielplätze. Deswegen "Säuberungsaktionen". Auf seiner Kappe trägt er mehrere Buttons, eines davon zeigt das Konterfei von Horst Wessel. Im Gymnasium nehme er den ab, erklärt er. "Ich bin ja nicht blöd."

"Irgendwas müssen Sie machen"

Direktor Kraus bestätigt das. Der junge Flood verhalte sich tadellos, sagt er. Nur einmal kam er mit Seitenscheitel in die Schule, an den Seiten waren die Haare abrasiert. Kraus forderte ihn auf, die Hitlerfrisur zu ändern. Was im Grunde lächerlich war, denn zwingen, das weiß auch der Direktor, hätte er ihn nicht können.

"Aber irgendwas müssen Sie ja machen." Seit drei Jahren belegt der Schüler einen Wahlpflichtkurs, es geht um politische Bildung. Man habe gehofft, das würde etwas nutzen. Gebracht habe es wenig, räumt der Schulleiter ein.

Die Geschichtslehrer am Gymnasium erzählen sich, der junge Flood schreibe selbst dann gute Noten, wenn es um die NS-Zeit geht. Kollegiatinnen, mit denen er in eine Klasse ging, berichten von einem "netten Kerl". Sie wissen auch von einem anderen Wunsiedler Gymnasiasten, Sohn eines Konrektors, mit dem Flood auf dem Schulhof öfters tuschelte.

Vor zwei Jahren machte der andere Abitur, eine Eins stand bei ihm vor dem Komma, "das war so ein richtig rhetorisch geschulter Neonazi", erinnert sich Vater Flood. Runenshirts trug schon damals immer nur sein Sohn. Der andere kam mit Rollkragenpulli und langem Mantel zu den Floods nach Hause, "ein richtiger Schwiegersohntyp", findet der Vater.

ei der Bürgerinitiative wussten sie damals von 35 jugendlichen Rechtsextremen in der Kleinstadt, in der Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess begraben liegt. "Mehr als Jusos und Junge Union zusammen", rechnet SPD-Mann Flood vor. Der Schwiegersohntyp studiert jetzt Jura. Als Vordenker in Wunsiedel ist seither vor allem sein Sohn übrig geblieben.

Mutters Auftritte

Warum wird einer Neonazi, der scheinbar alles hatte in seiner Jugend - Zuwendung, Bildung, Taschengeld? Tausendmal hat er sich das gefragt, sagt Flood, nur eine Antwort hat er bislang nicht gefunden. Mit 14 Jahren zerrte die Mutter ihren Sohn das erste Mal aus einer damals stadtbekannten Wunsiedler Nazikneipe. Sie sei da manchmal wie eine Mutter Courage, sagt Michael Flood.

Im September 2005 durchbrach die Mutter des Neonazis bei einer NPD-Demonstration die Absperrung der Polizei. Ihr Sohn hielt gerade eine schwarze Fahne in der Hand, neben ihm sprach Nazianwalt Jürgen Rieger. Der junge Flood erzählt die Geschichte auch selber. Ihm sei das "nur noch peinlich" gewesen. Er grinst.

Wäre er selbst Mitglied in der CSU, vermutet der Sozialdemokrat Flood, dann wäre sein Sohn jetzt ein linksextremer Punk. "Der will unbedingt Opposition gegen mich", glaubt er. Er sei kein Achtundsechziger, bei ihm zu Hause könne nicht jeder machen, was er gerade will.

Auch deshalb sei er anfangs oft gehässig gewesen, wenn der pubertierende Sohn seine völkischen Parolen von sich gab. "Mag sein, dass das der Fehler war." Er hat seinem Sohn jetzt ein Ultimatum gestellt. In Wunsiedel darf der nicht mehr an Naziaufmärschen teilnehmen, sonst muss er vor dem Abitur ausziehen.

Der junge Flood grinst wieder. Am Mittwoch haben sich die braunen Kameraden abermals im fränkischen Gräfenberg angekündigt, wie mittlerweile jeden Monat. Ob er auch daran teilnimmt, dürfen nur die Kameraden wissen. Gegen seinen Vater, sagt er, habe er nichts - ihm gehe es nur ums deutsche Vaterland.

Im März bei der Bürgermeisterwahl will der Mann, der sich gerne Neonazi nennen lässt, den Sozialdemokraten vielleicht sogar wählen. Allerdings nur, "wenn dann keine nationalen Kräfte antreten".

© SZ vom 29.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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