Ein Dorf im Ausnahmezustand:Exodus aus Eschenau

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In dem durch Missbrauchsfälle bekannt gewordenen Dorf verhindern Hass und Angst ein normales Leben. Es herrscht "kalter Krieg".

Olaf Przybilla

Das Haus am Dorfrand steht zum Verkauf. Wäre Hans Bloch ein Mann großer Worte, so könnte er das Anwesen als Wohntraum anpreisen. 250 Quadratmeter, parkähnlicher Garten, ein Studio mit freigelegten Balken. Drei Generationen können hier leben, und drei Generationen haben hier auch gelebt, bis die Dorfbewohner Bloch die Reifen aufgeschlitzt haben.

Der Ort Eschenau kommt nicht zur Ruhe. (Foto: Foto: ddp)

Eine Frau aus Oberbayern hat sich unlängst auf eine Annonce hin gemeldet. Vom Angebot zeigte sich die Frau begeistert. Das Gespräch endete genau an der Stelle, als sie sich nach dem Namen des Dorfes am Rande des Steigerwalds erkundigte. Eschenau.

Fritz Gotthardt wohnt am Ortseingang in einem Haus, das der evangelischen Landeskirche gehört. Direkt unter seinen Räumen findet sich der Gemeindesaal. Es ist der Saal, in dem ein Anwalt ungebremst die Missbrauchsopfer von Eschenau verhöhnen durfte und sich vom Fernsehen dabei filmen ließ.

Gotthardt war nicht dabei an dem Abend, er musste arbeiten. Als er anderntags sehen musste, was da in seinem Wohnhaus passiert ist, trat er als Ortssprecher von Eschenau zurück. Gotthardt sagte, solchen Leuten könne er nicht mehr vorstehen.

Den Schritt von Bloch aber - der mit Frau und Kindern fluchtartig das Dorf verlassen hat - wollte er unter keinen Umständen gehen. "Ich wohne mein ganzes Leben lang in Eschenau, verstehen Sie?" Der Satz ist acht Monate alt. Genauso alt wie der vergebliche Versuch von Bloch, sein Haus zu verkaufen.

Abschiedsbrief

Unterdessen ist auch Gotthardt soweit. Er will das Dorf verlassen. Wenn er sich vorstellen müsse, in Eschenau seinen Lebensabend zu fristen, dann bekomme er keine Luft mehr, sagt der 57-Jährige. Nicht nur einmal hat er gehofft, dass einer kommt aus dem Dorf und zu ihm sagt: Ich habe Blödsinn geredet, lass uns sprechen.

Gehofft hat er es, als das Bamberger Landgericht einen Mann zu viereinhalb Jahren Haft verurteilte, wegen Missbrauchs von Kindern. Und gehofft hat er es, als die Landeskirche ein Mediatorenteam ins Dorf sandte. Fünf Monate lang wurde geredet, dann zogen die Vermittler wieder ab.

Kurz darauf ging aus der Mitte des Dorfes ein Schreiben "an alle politischen Gemeinden" im Umkreis von Eschenau. Es beginnt: "Sehr geehrte Damen und Herren, nach einer ungeheuerlichen Gerüchteküche und Medienkampagne nahm sich mein Schwager am 17. Mai 2007 das Leben."

Das Schreiben endet mit der Kopie eines Zettels. Er wurde bei dem Großbauern gefunden, der sich erhängt hat. In gekritzelter Handschrift steht darauf zu lesen: Zwei Frauen "werden mit Ihren Anschuldigungen und Lügen nicht aufhören. Und ich werde nicht büßen für Dinge, die ich nicht getan habe. Ich liebe Euch."

In dem Schreiben wird der Abschiedsbrief so kommentiert: "Mein verstorbener Schwager und seine Familie wollten eigentlich nur Ruhe und Frieden." Und danach: "Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Medien ungebremst ein ganzes Dorf anprangern können."

Hans Blochs Mutter wohnt noch im Dorf. Demnächst will er sie herausholen. Bloch, der gebeten hat, seinen richtigen Namen nicht preiszugeben, sagt: Die Mediation habe Frieden ins Dorf bringen sollen. Aber mehr als ein Jahr nach dem Tod des Bauern herrsche in Eschenau "kalter Krieg".

Kinder der Opferfamilien werden gehänselt und trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Gestandene Männer brechen unversehens in Tränen aus. Und weil im einzigen Gasthaus am Ort ein Opfer zu Hause ist, wurde das Hinweisschild auf das Lokal abgeschraubt, über Nacht. Betreten wird der Gasthof von Dorfbewohnern nicht, es halten sich dort fast ausschließlich Auswärtige auf. Versammlungen von Eschenauer Vereinen finden jetzt im Feuerwehrhaus statt.

Irmgard Meißner spricht ganz ruhig. Sie wohnt im ersten Eschenauer Haus nach dem Ortsschild, eine steile Treppe führt hinauf. Von dort oben hat man einen guten Blick über das Dorf. In Sichtweite liegt das Haus jenes angesehenen Großbauern, der sich das Leben genommen hat.

Meißner ist eine der beiden Frauen, die den Fall Eschenau losgetreten haben. Die andere ist Heidi Marks, die Frau aus Amerika. Marks hat sich ihr Leid von der Seele geschrieben. Nachdem ihr Buch "Als der Mann kam, und mich mitnahm" im April erschienen ist, gehe es ihr wenigstens ein wenig besser, sagt sie. Marks ist wieder zurückgekehrt in die USA.

Meißner lebt am Ortseingang von Eschenau. Rund um ihre Wohnung hat sie Kameras installieren lassen. Manchmal hilft ihr das. Und manchmal hat sie einfach nur Angst.

Weg aus Eschenau? Natürlich, sagt Meißner, und zwar sobald wie nur irgend möglich. Momentan aber lebt ihre Mutter noch im Dorf. Würde Meißner - die ausgesagt hat, vom Großbauern brutal vergewaltigt worden zu sein - mit ihrer Familie wegziehen, dann wäre die Mutter ziemlich alleine im Dorf.

Bloch ist schon weg. Gotthardt wird demnächst wegziehen. Es könnte dann sehr einsam werden um die Mutter. "Man könnte wahnsinnig werden, wenn man darüber nachdenkt", sagt Frau Meißner.

"Ich bin ratlos"

Stefan Paulus ist seit März neuer Bürgermeister von Eschenau. Er hat sein Büro in der Großgemeinde Knetzgau und beginnt Gespräche über den sechs Kilometer weit entfernten Gemeindeteil Eschenau mit den Worten: "Ich bin ratlos. Können Sie mir helfen in der Sache?"

Paulus hat die Sache Eschenau von seinem Vorgänger Werner Schneider geerbt. Das war der Bürgermeister, der im evangelischen Gemeindesaal nicht den Mumm hatte, aufzustehen und Einhalt zu gebieten, als sie dort die Opfer verhöhnten - der aber auch die Courage hatte, anschließend über sich selbst fassungslos zu sein: "Ich habe mich nicht getraut, meinen Mund aufzumachen."

Paulus ist noch keine hundert Tage im Amt. Aber die Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte in Eschenau, hat er fast schon aufgegeben. Demnächst wollten sie dort ein Kneippbecken eröffnen und ein großes Fest feiern deshalb. Paulus sagte die Feier ab. Ein Fest in Eschenau, das könne er sich in der jetzigen Stimmung beileibe nicht vorstellen. Im Wahlkampf hatte sich Paulus einen einzigen Satz erlaubt über den Ort.

Man müsse den Frauen doch mindestens Dank sagen dafür, dass sie mutmaßlich verhindert haben, dass immer weitere Kinder von Eschenau zu Opfern sexuellen Missbrauchs werden. Seither gilt er der Mehrheit der Eschenauer als parteiisch. Gibt es also keine Lösung für Eschenau? "Ich fürchte, der Ort kommt erst dann zur Ruhe, wenn alle Opferfamilien weggezogen sind", stöhnt Paulus. Und schiebt dann nach: "Oder vertrieben."

Anfragen nach dem Erfolg der Mediation beantwortet die Landeskirche schriftlich: "Das Team hat insgesamt 172 Gespräche geführt. Diese Gespräche fanden in verschiedenen Settings statt: 25 Gespräche waren Offene Runden, 19 Vermittlungsgespräche wurden mit mehreren Personen geführt.

Die Zahlen zeigen, dass bei den Bewohnern von Eschenau eine große Bereitschaft zur Konfliktbearbeitung vorhanden ist und dass eine starke inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Konflikt stattgefunden hat." Bei Bedarf, heißt es, könnten die Gespräche fortgeführt werden. Die Ortspfarrerin, der die Opferfamilien vorwerfen, hinter ihrem Rücken Stimmung gegen sie gemacht zu haben, ist weiterhin im Amt.

© SZ vom 19.07.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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