"Die Situation in Eschenau ist völlig eskaliert":Ende einer Dorfreise

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Heidi Marks brachte Ermittlungen wegen Missbrauchs im fränkischen Dorf Eschenau in Gang - und flüchtete nun aus Angst vor Rache.

Olaf Przybilla

Der Anrufer soll sich freundlich gegeben haben. Er sei besorgt, soll er gesagt haben, denn wenn er die Lage in Eschenau richtig einschätze, dann sollte Heidi Marks das Dorf möglichst schnell verlassen - sonst ,,könnte hier etwas passieren''. Er wolle der US-Amerikanerin nicht drohen, aber im Dorf höre der Anrufer von konkreten Ideen, was man so machen könnte, wenn Marks nicht umgehend wieder dahin zurückkehre, wo sie vor zehn Wochen hergekommen sei.

Die 50 Jahre alte Lehrerin, die in der fränkischen Gemeinde Eschenau eine Reihe von Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs in Gang gebracht hat, brauchte nicht lange, um ihre Sachen zu packen. Der Wirt in dem Eschenauer Gasthof, in den sich Marks einquartiert hat, habe ihr dringend dazu geraten. Er kenne die Stimmung im Ort genau - und diese Hinweise, befürchtete der Wirt, seien ,,hier sehr ernst'' zu nehmen.

Renate Bohl von der Opfer-Hilfsorganisation ,,Weißer Ring'' kennt diese Eschenauer Stimmung ebenfalls. Sie sagt, die Situation im unterfränkischen 192-Seelen-Dorf sei unterdessen ,,völlig eskaliert''. Nicht nur Heidi Marks, die Lehrerin aus Amerika, habe ,,panische Angst''. Vor allem die Opfer, die weiterhin in Eschenau leben, ,,trauen sich nicht mehr aus dem Haus''. Das Klima im Ort sei ,,offen aggressiv'', ein Mann habe den Frauen und deren Verwandten bereits mit ,,Rache'' gedroht. Die in Eschenau lebenden Opfer, mit denen der Weiße Ring Kontakt hält, seien ,,verzweifelt und hilflos''.

Sie sind bislang anonym geblieben, vor der Staatsanwaltschaft aber haben die fünf Frauen übereinstimmende Aussagen gemacht - nachdem die US-Amerikanerin Marks im März 2007 erstmals davon berichtet hatte, bereits in den sechziger Jahren von zwei Männern aus dem Dorf mehrmals sexuell missbraucht worden zu sein. Einer der beiden Männer hat sich am Himmelfahrtstag das Leben genommen. Der andere versuchte es ebenfalls, konnte aber gerettet werden und sitzt unterdessen in Untersuchungshaft.

"Eschenau ist nicht Chicago"

Die Bamberger Staatsanwaltschaft legt ihm Missbrauch von Kindern in zwei Fällen und versuchte Vergewaltigung in drei Fällen zur Last. Die Möglichkeit, dass es sich um einen ,,organisierten Rufmord'' von fünf Frauen ganz unterschiedlichen Alters handeln könnte, hält Oberstaatsanwalt Joseph Düsel ,,für nahezu ausgeschlossen''. Die Staatsanwaltschaft, sagt Düsel, nehme die Hinweise der Opfer auf Bedrohungen sehr ernst. Ein Ermittlungsverfahren sei aber nicht eingeleitet worden.

Dafür bedürfe es der ,,Bedrohung mit einer konkreten Tat''. Solange nur die Aussage ,,Wenn du nicht abhaust, dann passiert etwas'' im Raum stehe, gebe es ,,noch keinen Anlass für ein Verfahren''. Die Polizei hat währenddessen ,,präventive Maßnahmen'' eingeleitet, um für die Sicherheit der in Eschenau verbliebenen Frauen zu sorgen.

Horst Hauck, der als Lektor für die evangelische Kirche in Eschenau Gottesdienste hält, will die Abreise der Amerikanerin durchaus ,,nicht begrüßen''. Er betont aber, der Ort könne sich ,,nun vielleicht endlich wieder Dingen zuwenden, die unser Dorf stark gemacht'' hätten - vor allem ,,durch unseren Gemeinschaftssinn''. Hauck ist einer der letzten im Dorf, der Medien noch Auskunft gibt. Der Ortssprecher, klagt er, habe sich ,,vor 14 Tagen ohne Begründung verabschiedet''. Da Hauck Mitglied im Vorstand nahezu aller örtlichen Vereine ist, hätten ihn die Dorfbewohner gebeten, für sie zu sprechen. Er wolle ,,die Glaubwürdigkeit von Frau Marks nicht bewerten''. Drohungen gegen sie halte er aber für ausgeschlossen. ,,Eschenau ist nicht Chicago'', erklärt Hauck.

Die evangelische Ortspfarrerin Elfi Trautvetter-Ferg ist unterdessen ins Zwielicht geraten. Nach einem Bericht der Passauer Neuen Presse soll sie gesagt haben: ,,Im Nachbardorf ist das Gleiche passiert, und da hat kein Hahn danach gekräht.'' Die Pfarrerin bestreitet, dies so gesagt zu haben. Für eine weitere Stellungnahme ist sie nicht zu sprechen.

© SZ vom 06.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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