Deutschland:Das verlorene Jahrzehnt

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Wie die deutsche Justiz sich seit 1999 um die Auslieferung des Verdächtigen mühte.

Hans Holzhaider

Eine scheinbar unendliche Geschichte hat nun doch ihr Ende gefunden. Zehn Jahre und drei Monate, nachdem die Staatsanwaltschaft Augsburg Haftbefehl gegen Karlheinz Schreiber erlassen hat, sitzt der 75-Jährige dort, wohin ihn Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz all die Jahre gewünscht hat: in einer Zelle der Augsburger Justizvollzugsanstalt. Es waren Jahre, in denen Nemetz an der kanadischen Justiz schier verzweifelt ist - immer noch eine Eingabe, noch eine Beschwerde, noch eine Berufung, und wenn man dachte, nun seien aber wirklich alle juristischen Winkelzüge ausgeschöpft, dann schien alles wieder von vorne anzufangen.

Dabei ließ sich die Sache vielversprechend an. Am 31. August 1999, drei Monate, nachdem Schreiber sich aus der Schweiz nach Kanada abgesetzt hatte, wurde er in einem Hotel in Toronto von der Royal Canadian Mounted Police festgenommen. Aber schon eine Woche später war er gegen eine Kaution von rund 800000 Euro wieder auf freiem Fuß.

Dann folgen ein ganzes Jahr lang Vertagungen und immer wieder Vertagungen des Auslieferungsverfahrens. Im Januar 2000 zieht die deutsche Botschaft in Toronto Schreibers deutschen Pass ein, was diesen nicht weiter stört, weil er auch einen kanadischen Pass besitzt. Er verklagt die Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz, weil er durch die Inhaftierung aufgrund des deutschen Auslieferungsersuchens eine Rufschädigung erlitten habe. Auch diese Klage beschäftigt die kanadische Justiz ein ganzes Jahr lang, bis sie vom Obersten Gerichtshof abgewiesen wird. Schreiber steigt inzwischen ins Nudelgeschäft ein: Er will eine Fastfood-Kette gründen, in der superschnell gegarte Pasta mit Gourmetsoßen gemixt wird.

Mehr als drei Jahre gehen ins Land, bis endlich im Mai 2004 ein Bezirksgericht Schreibers Auslieferung nach Deutschland anordnet. Natürlich legt Schreiber sofort Berufung ein. Am 31. Oktober 2004 ordnet auch der kanadische Justizminister Irwin Cotler Schreibers Auslieferung an - und legt damit den Grundstein für weitere Verzögerungen. Nun kann Schreiber nicht nur gegen die Gerichtsentscheidung, sondern in einem getrennten Verfahren auch noch gegen die Ministeranordnung vorgehen.

Wiederum mahlen die kanadischen Justizmühlen mit großer Gemächlichkeit. Erst am 8. März 2006 entscheidet das Berufungsgericht der Provinz Ontario gegen Schreiber. Die Auslieferung solle nun schnell erfolgen, fordert das Gericht. Der Fall habe sich bisher im "Schneckentempo" vorwärtsbewegt. Ein wahres Wort. Schreiber wird erneut in Auslieferungshaft genommen und gleich am nächsten Tag wieder gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Er zieht jetzt vor den Obersten Gerichtshof, den Supreme Court. Um auf Nummer sicher zu gehen, schreibt er auch noch an den kanadischen Justizminister, es ist inzwischen ein neuer: Vic Toews. Er möge dem armen Verfolgten beistehen, denn in Deutschland drohe ihm ein unfairer Prozess. Ein Augsburger Gerichtssprecher habe angeblich geäußert, Schreiber habe Deutschland geschadet.

Am 1. Februar 2007 weist der Supreme Court Schreibers Beschwerde ab, dieser begibt sich mal wieder in Auslieferungshaft, eine ganze Woche lang. Ausgeliefert wird er noch lange nicht: Es steht ja noch die Entscheidung über seine Beschwerde gegen die Ministeranordnung aus. Die fällt am 4. Mai 2007, gegen Schreiber - aber auch gegen diese Entscheidung kann er wieder den Obersten Gerichtshof bemühen. Der handelt diesmal relativ schnell und entscheidet schon fünf Monate später, am 5. Oktober 2007, gegen Schreiber. Damit sollten nun eigentlich alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft sein.

Aber Schreibers Phantasie ist noch nicht erschöpft. Wenn es nicht auf juristischem Wege geht, dann vielleicht auf politischem. Im November 2007 erfreut er die kanadische Presse mit der Mitteilung, er habe den früheren kanadischen Regierungschef Brian Mulroney im Rahmen eines Flugzeuggeschäfts mit 300000 kanadischen Dollar geschmiert. Das schützt ihn für weitere anderthalb Jahre vor der Abschiebung - so lange muss er als Zeuge für einen Untersuchungsausschuss des Parlaments zur Verfügung stehen.

Am 31. Juli 2009 ist auch diese Frist abgelaufen. In den letzten Wochen davor hat Schreiber eine letzte, ziemlich verzweifelte Aktion gestartet: Er will nachweisen, dass das kanadisch-deutsche Auslieferungsabkommen aus dem Jahr 1977 in Kanada nicht ratifiziert worden und seine Auslieferung deshalb unrechtmäßig sei. Das stimmt schlichtweg nicht - die Ratifizierungsurkunden sind ordnungsgemäß ausgetauscht worden. Trotzdem hat dieses Abkommen seine Tücken - es schließt nämlich eine Auslieferung wegen Steuerdelikten aus. Erst 2002 wurde dieser Mangel durch ein Zusatzabkommen beseitigt, aber dieses Zusatzabkommen ist nicht rückwirkend anwendbar. Gleichwohl hat ein Richter am Berufungsgericht von Ontario im Dezember 2005 entschieden, dass Schreiber auch wegen Steuerdelikten nach Deutschland ausgeliefert werden könne. Das könnte in einem zukünftigen Prozess noch zu Problemen führen.

Am 30. Juli schickt Justizministerin Brigitte Zypries ein Fax an ihren kanadischen Kollegen Rob Nicholson - der dritte Justizminister, der sich in Kanada mit Schreiber befassen muss. Ob dieses Fax nun der Anlass war oder ob die Kanadier aus eigenem Antrieb gehandelt haben, ist schwer einzuschätzen. Jedenfalls ging nun alles blitzschnell. Am Sonntag gelang es Schreibers Anwalt Edward Greenspan noch, einen Richter trotz des Wochenendes zu einer Anhörung zu bewegen, aber der hielt die mittlerweile fast fünf Jahre alte Auslieferungsanordnung aufrecht. Am Sonntagabend um Viertel nach zehn Ortszeit sagte Schreibers Ehefrau Barbara zu einem Reporter: "Er sitzt schon im Flugzeug."

© SZ vom 04.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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