Der bayerische Riese:Dem Himmel so nah

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Mit fast 2,20 Metern hat es Peter Zimmermann vom Schützengraben zum Altar geschafft - in einer Zeit, in der Riesen nur verspottet wurden.

Hans Kratzer

Schon als Bub wollte Peter Zimmermann hoch hinaus. Eines Tages hatte der Schulinspektor den zehnjährigen Volksschüler gefragt, was er einmal werden wolle - und der gab ihm treuherzig zur Antwort: "A Papst." Die ganze Klasse soll schallend gelacht haben. Letztlich hat es der Lauf der Geschichte so eingefädelt, dass nicht er, sondern ein anderer Bayer Papst wurde. Und trotzdem landete auch der Bauernbub Peter Zimmermann aus dem Bayerwalddorf Warzenried im Schoß der Mutter Kirche und erregte als Priester fast so viel Aufsehen wie Papst Benedikt XVI.

Peter Zimmermann rückte als Bayerns größter Soldat 1914 in den Ersten Weltkrieg ein. (Foto: Foto: oh)

Zimmermann war nicht nur der längste Soldat, der im Ersten Weltkrieg zu den Waffen gerufen wurde, sondern auch der größte Pfarrer, den Bayern vermutlich jemals gesehen hat. Höchstens der Volksheilige Rasso, der in der Wallfahrtskirche Grafrath im Fürstenfeldbrucker Land bestattet ist, könnte gemäß der Überlieferung ein noch größerer geistlicher Riese gewesen sein. Leider haben Räuber bei einem Diebstahl anno 1867 das Skelett des Rasso enthauptet.

Moralische Größe

Die Geschichte des fast 2,20 Meter großen Peter Zimmermann wäre längst vergessen, wenn nicht kürzlich eine Ausstellung im Kloster Windberg an ihn und sein Schicksal erinnert hätte. Verwandte hatten seine letzten Habseligkeiten zur Verfügung gestellt, seine riesigen Schuhe, sein Primizbild, seinen Zylinder und seine Schnupftabakdose. Es war anrührend, das alles anzuschauen, aber vor allem seine leider nie veröffentlichte Autobiographie "Aus dem Leben eines Vielbeneideten" zeigt, dass Zimmermann allen Widrigkeiten zum Trotz ein eigenständiger Kopf war. Zu seinem körperlichen Wuchs gesellte sich eine moralische Größe, die ihn befähigte, auch den Nazis zu trotzen. Vermutlich hat ihn diese Haltung das Leben gekostet.

Heute stehen Riesen in großem Ansehen, vor allem im Sport. In den Profiligen der Basketballer wimmelt es nur so von Menschen, die ähnlich groß sind wie Peter Zimmermann. Vor 100 Jahren war das noch anders. Zwei-Meter-Riesen waren eine Seltenheit und wurden auf Jahrmärkten als Sensation vorgeführt.

Die meisten erfuhren ein trauriges Los, wie etwa der 1852 geborene Thomas Hasler, den man den Riesen vom Tegernsee nannte. Er litt an einer Überproduktion von Wachstumshormonen und war mit 2,35 Metern wohl der bisher größte Bayer überhaupt. Sein Aussehen war so schrecklich, dass er bis zu seinem Tod mit 24 Jahren einsam in einer Scheune gelebt haben soll. An den größten Menschen aller Zeiten, den 2,72 Meter großen Amerikaner Robert Wadlow (1918-40), reichte aber selbst er nicht hin.

Wie alle Riesen seiner Zeit musste auch Peter Zimmermann Spott ertragen. "Wenn er irgendwo hinkam, hatte er immer das Gschau", sagt Frater Raphael, der Kurator der Ausstellung im Kloster Windberg. Die Sticheleien waren gewiss nur mit Humor zu ertragen, aber den hatte er, wie aus seiner kleinen Autobiographie hervorgeht.

Selbst nachdem Zimmermann anno 1911 ins Priesterseminar in Regensburg eingetreten war, blieb er eine Zielscheibe von Witzbolden: "Du Großer, was für ein Wind geht denn bei dir droben?" Fragen wie diese wurden ihm fast täglich gestellt. Seine Kollegen verglichen seine Schuhe mit Kindersärgen und seine dicken Finger mit Regensburger Knackwürsten.

"Bub, hör doch einmal das Wachsen auf"

1891 war Zimmermann auf einer Einöde bei Warzenried (Landkreis Cham), zur Welt gekommen. Weil er begabt war, durfte er eine höhere Schule besuchen, und zunächst verlief auch alles normal. Doch plötzlich fing der Waldbauernbub unheimlich zu wachsen an, bald war er über zwei Meter groß, das war für die damalige Zeit mitsamt ihrer Mangelernährung ganz außergewöhnlich.

Ein Arzt, der bei der Ausstellung in Windberg die wenigen Fotografien betrachtete, auf denen Zimmermann abgebildet ist, stellte die Diagnose, dass er wohl an einem Krebs in der Wachstumsfuge gelitten habe. Im Bauernhaus seiner Eltern fand der Knabe bald keinen Platz mehr. Der Vater wusste nicht mehr ein noch aus: "Bub, hör doch einmal das Wachsen auf, sonst bringst mi noch auf d'Gant", zitiert ihn Zimmermann. So sagte man, wenn der Konkurs drohte. Um das Haus nicht umbauen zu müssen, riss der Vater den Boden aus der Stube und legte diesen 30 Zentimeter tiefer, damit der Sohn wenigstens aufrecht stehen konnte.

Soldat ohne Stiefel

Nach dem Abitur beschloss der mittlerweile 2,14 Meter große Jüngling, Priester zu werden. Denn, so schrieb er in seinen Memoiren, "wer Papst werden will, muss in der Regel vorher Priester sein". Ein großer Papst war damals durchaus nach dem Geschmack der katholischen Welt, wie wir vom Dichter Oskar Maria Graf wissen. Dessen Mutter, die Heimrath Resl, kam einst furchtbar enttäuscht aus Rom zurück, denn: "Als Papst sollten sie schon ein festeres Mannsbild ausgesucht haben." Der Stellvertreter Christi sollte ihrer Meinung nach auch körperlich jeden Menschen überragen.

Das Internat ließ ein Spezialbett für Zimmermann anfertigen. In Scharen kamen Neugierige, um es zu besichtigen. Der Rummel nervte ihn zusehends. Außerdem kam es vor, dass sich Kirchenbesucher beschwerten, unter den Alumnen sei einer, der sich bei der Wandlung nicht einmal niederkniee. "I knia ja schon", rief er frustriert zurück. Beim Militär kamen große Soldaten wie er gerade recht.

Anfang Dezember 1914 rückte der Pfarrerstudent zum Ersatzbataillon des Dritten Bayerischen Fußartillerie-Regiments in Ingolstadt ein. Aber auch die Kaserne war auf einen Riesen nicht vorbereitet. Es gab nirgendwo passende Stiefel und keine Uniform. Nach einem Unfall im Mai 1915 wurde er dienstunfähig geschrieben, nahm sein Studium wieder auf und wurde am 29. Juni 1916 im Regensburger Dom zum Priester geweiht.

Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit

Weil er oft krank war, bekam Zimmermann keine Pfarrerstelle. Deshalb trat er 1928 im Maristenkloster Furth bei Landshut eine Stelle als Benefiziat an, dort ist er dann am 24. Juni 1936 im Alter von gerade einmal 45 Jahren gestorben. Vermutlich waren es die Nazis, die ihm das Leben nicht gönnten und ihn an Leib und Seele zerstörten.

Zimmermann war gemäß den spärlichen Quellen als entschiedener Gegner des Hitler-Regimes aufgetreten und aufgrund seiner kritischen Äußerungen mindestens zweimal in Schutzhaft genommen worden. Dass er dort misshandelt wurde, ist wahrscheinlich. Dass er bei einer Verhaftung von Polizisten geschlagen wurde, berichteten Augenzeugen.

Er selber schrieb über die Beschwernis seines Lebens als Riese: "Die Großen dieser Welt klagen alle über die Neugierde und Zudringlichkeit ihrer Mitmenschen. Aber sie können sich dieser Unannehmlichkeiten wenigstens ab und zu entziehen, indem sie incognito reisen. Das ist aber für einen Menschen mit außergewöhnlicher Körpergröße leider niemals möglich. Und es ist wirklich unangenehm, ständig der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und der Zielpunkt mehr oder minder treffender Witze zu sein."

Sein Gegenrezept war der ungebrochene Humor, der auch in dem Gedicht aufblitzt, das Zimmermann zu seiner Primiz verfasst hatte: "Zwei Meter und vierzehn! Und geistlicher Herr! Ja höher geht's wahrlich bald nimmer mehr."

© SZ vom 2.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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