CSU:Der Unberechenbare

Lesezeit: 4 min

In der Regierungspartei wächst die Kritik am Chef : Weil Horst Seehofers Positionen häufig wechseln, fürchten viele in der CSU eine "Erosion des Vertrauens".

Kassian Stroh

Lang ist die Eloge auf Theo Waigel. 49 Jahre umspannt sie, so lange wie der Geehrte nun schon in der CSU ist. Und Horst Seehofer, sein dritter Nachfolger als Parteichef, spricht dabei viel über dessen "klaren Kompass und starken Kurs". Die Einführung des Euro, sagt er an einer Stelle, sei ein Beispiel gewesen, "wie man eine unpopuläre Entscheidung den Menschen vermittelt, wenn man mit Überzeugung für eine Sache einsteht".

Horst Seehofer: Die Kritik nimmt zu. (Foto: Foto: seyboldtpress)

Da denken einige Zuhörer aus dem aktuellen Führungspersonal der CSU, ja, das sei wirklich wichtig. Zumindest flüstern sie es einem hernach zu - und münzen dies auf Seehofer.

An diesem Montag feiert die CSU im Hubertussaal des Nymphenburger Schlosses in München den 70. Geburtstag Waigels, der bald ihr Ehrenvorsitzender werden wird. An diesem Montag ist es auch genau ein halbes Jahr her, dass Seehofer Ministerpräsident wurde. CSU-Chef ist er schon zwei Tage länger. Und in der Partei wird das latente Unbehagen darüber, ob das eine gute Wahl war, allmählich zur Sorge.

Höchstens zehn Sekunden

Wenn man mit CSU-Politikern über die Entwicklung der vergangenen Wochen spricht, fällt immer wieder ein Wort: Glaubwürdigkeit. "Die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit, die uns von Wahlerfolg zu Wahlerfolg getragen haben, sind verlorengegangen", klagt stellvertretend ein Kommunalpolitiker, der frei ist vom Verdacht, mit Seehofer noch eine Rechnung offen zu haben.

Stets zeichnete die CSU ein ausreichendes Maß an Flexibilität und oft auch Chuzpe aus, überkommene Positionen zu räumen. Doch stets erwarte der konservative Wähler auch jenen klaren Kompass, wird in der Partei geklagt. Demgegenüber halten Radikalität wie Frequenz von Seehofers Kurswechseln und Initiativen inzwischen manche für zu hoch - das Nein zur Gentechnik in der Landwirtschaft, das mal mehr mal weniger strikt ist, ist da ebenso ein Beispiel wie Seehofers Ankündigung, noch vor der Europawahl die Arbeitszeit der Beamten von 42 auf 40 Wochenstunden zu senken.

Auch wenn Seehofer beteuert, dass das in keinem Widerspruch stehe zur Politik des ausgeglichenen Haushalts, bei der er bleibe. Viele glauben ihm das nicht. Und das werde sich noch rächen für die CSU, prophezeit einer aus dem Parteipräsidium.

Seehofer nimmt für sich in Anspruch, bei einem Gespräch höchstens zehn Sekunden zu benötigen, um zu wissen, was sein Gegenüber denke und fühle. Das sei "seine große Stärke", bestätigt ein einflussreicher CSU-Abgeordneter, der durchaus große Stücke auf den Vorsitzenden hält. "Auch wenn das darin mündet, Sachen zu verkünden, die nicht bis zum Schluss durchdacht sind." Und dass man heute nie wisse, was Seehofers Position morgen sei, wie einer seiner Minister sagt, verunsichert die ganze CSU-Führung.

Zwar vermittele er Aufbruch, heißt es in der CSU-Fraktion. "Aber dass er so unberechenbar ist, lähmt uns: Keiner weiß, was er noch sagen soll oder darf." Zumal sich offenbar nur wenige trauen, ihm Kontra zu geben, und Seehofer lieber spontan aus dem Bauch heraus entscheidet, statt sich dem peniblen Studium von Aktenvermerken zu unterwerfen. Beim Maibockanstich des Hofbräuhauses spottete der Kabarettist Django Asül vergangene Woche deshalb: "Das Kernsegment von Seehofer ist ja nicht Fachkenntnis, sondern Politik."

Nach wie vor ist Seehofer ziemlich ungefährdet. Es zeichnen sich keine Thronfolger ab, die ihn in nächster Zeit stürzen könnten. Auch ist in der CSU die Stimmung weit verbreitet, nach gut drei Jahren voller Personalquerelen müsse diesbezüglich endlich einmal Ruhe sein. Doch unangefochten ist Seehofer nicht, im Gegenteil: Die Kritik nimmt zu. Wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand - Heldenmut vor dem Thron war noch nie das prägende Charakteristikum eines Christsozialen. Dieses Gegrummel trotzdem als Beleg für die Stimmung in der CSU zu nehmen, wertet Seehofer als Medienkampagne gegen ihn.

43,4 Prozent der Stimmen holte die CSU bei der Landtagswahl. Wie die Stimmung derzeit ist, ist demoskopisch unklar: Die jüngsten bayerischen Umfragen datieren vom Januar und sahen die CSU bei 45 Prozent. Der Aufschwung, der nun doch kommen müsste, bleibe aus, analysiert einer aus der Berliner CSU-Mannschaft.

Ein anderer spricht von einer "Erosion" des Vertrauens. Seehofer selbst sieht die CSU im Aufwind und zitiert als Beleg den Beifall bei seinen Veranstaltungen. Da er aber mit seinem Charisma und seiner Rhetorik jede Zuhörerschaft im Nu für sich einnehmen kann, spielt ihm seine Wahrnehmung womöglich einen Streich. Selbst Profis sind davor nicht gefeit: Aus der Landtagsfraktion wird berichtet, während jeder Sitzung seien alle ganz angetan vom Chef. Bis ihnen ein paar Stunden später allmählich dämmere, dass Seehofer ihnen vielleicht doch eher Zuckerwatte gereicht habe denn handfeste Kost.

Hohe Schlagzahl

Mehrwertsteuer, Gesundheitsfonds, Eigenheimzulage - dass der CSU-Chef zuletzt beinahe im Wochentakt Neuigkeiten verkündete, lobte sein Generalsekretär Alexander Dobrindt als "hohe Schlagzahl", die schon an sich wertvoll sei, denn Politik dürfe ja nicht schläfrig sein. Seehofer sieht dies als Erfolgsrezept für die Wahlen, die er zu Schicksalswahlen für die CSU wie für sich erklärt hat.

"Der Gedanke, durch diese oder jene Einzelmaßnahme Wähler zu gewinnen, ist zu kurzfristig gedacht", sagt hingegen der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, ein Kenner der CSU, für die er selbst einmal kommunalpolitisch aktiv war. "Ich glaube, dass diese Art von Schnellschüssen eher dazu führt, die Leute zu verunsichern."

Als Zeichen von Seehofers Nervosität deuteten manche seine Reaktion auf Christine Haderthauers Äußerung, nicht alle Seiten an Franz Josef Strauß seien vorbildhaft gewesen. Dass der Ministerpräsident intern verkündete, er habe deshalb sogar erwogen, die Sozialministerin aus seinem Kabinett zu werfen, kam bei den eigenen Leuten nicht gut an. Überzogen sei das gewesen, und ohne Not habe Seehofer das Thema so erst zu einem solchen gemacht.

Beim Empfang für Waigel dankt Seehofer diesem für manchen Rat, den der Altvordere ihm als jungem Bundestagsabgeordneten mitgegeben habe, "nicht Hans Dampf in allen Gassen sein, nicht bei jedem Thema an der Oberfläche". Seehofer fügt hinzu: "Ich habe mich weitgehend daran gehalten - zumindest für einige Zeit." Das Publikum lacht.

© SZ vom 28.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: