ConSozial:Abrechnung in der Dankesrede

Lesezeit: 2 min

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp wird mit dem Wissenschaftspreis ausgezeichnet und greift die Politik der Staatsregierung an

Von Dietrich Mittler, Nürnberg/München

Schon 20 Jahre lang gibt es nun die ConSozial, die größte Sozialmesse im deutschsprachigen Raum, aber noch nie ist dort die Gesundheits-, Sozial- und Asylpolitik der Staatsregierung derart deutlich kritisiert worden wie dieses Mal. Und das auf großer Bühne: Heiner Keupp, einer der Vordenker und Gestalter der Psychiatriereform in Deutschland und jetzt mit dem ConSozial-Wissenschaftspreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, scheute sich nicht, in diesem Zusammenhang das Wort "Skandal" zu benutzen.

Es sei ein Skandal, so betonte der 75-Jährige bei der Preisverleihung in seiner Dankesrede, dass in diesem Land die Kinderarmut weiter ansteige, und es sei für ihn auch völlig unverständlich, warum Asylhelfer seitens der Politik keine Unterstützung bekommen. Zudem: Diesen ConSozial-Preis, so Keupp weiter, hätte er nie angenommen, wenn die Staatsregierung die Entwürfe zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz nicht doch noch geändert hätte. Ja, er sei sogar "wildentschlossen" gewesen, die vor zehn Jahren von der damaligen Sozialministerin Christa Stewens verliehene Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste zurückzuschicken, wenn der erste Entwurf für das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) tatsächlich umgesetzt worden wäre. "Darin wurde ein stigmatisierendes Bild von psychisch kranken Menschen definiert, das weit hinter den Positionen zurückblieb, die die Psychiatriereform auch in Bayern erreicht hatte", betonte Keupp nach seiner Rede - zu der Sozialministerin Kerstin Schreyer, die für ihn die Laudatio vorgetragen hatte, übrigens "kein Wort" gesagt habe.

Das von Betroffenen-Initiativen noch immer mit Argwohn betrachtete Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz soll nach drei Jahren erneut auf den Prüfstand kommen. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung machte Keupp am Donnerstag kurz nach seinem Fachvortrag über das Altersbild dieser Gesellschaft deutlich, dass früher etwas geschehen sollte: "Es sollten, wie jetzt gerade auf Bundesebene, Konsultationen beginnen - unter Einbeziehung vieler Gremien und Fachleute", sagte er.

Dass Keupp damit nicht alleinsteht, zeigt auch ein Vortragsprotokoll, das kürzlich der Caritasverband im Landkreis Nürnberger Land per Mail verteilte. Eine der Kernaussagen darin: "Der ursprüngliche Gedanke, das bisherige bayerische Unterbringungsgesetz stärker in Richtung Hilfen für Betroffene zu überarbeiten, konnte mit dem PsychKHG nur in geringem Umfang umgesetzt werden." Keupp als einer der Vorkämpfer der sogenannten Gemeindepsychiatrie hat da freilich seine eigenen Verbesserungsvorschläge. Es brauche in Bayern dringend mehr ambulante psychiatrische Dienste, die direkt "vor Ort bereitstehen, wenn bei einem Menschen eine schwere Krise auftritt". Auch sei es unabdingbar, dass diese Helfer auf lokaler Ebene im Falle einer nicht vermeidbaren Klinikeinweisung von psychisch Kranken auch weiterhin Kontakt zu ihnen halten können. "So wird auch die Reintegration in den Alltag besser funktionieren", ist sich Keupp sicher. Häufig aber sei es in Bayern Realität, dass psychisch kranke Menschen kurz nach der Psychiatrie in "sehr schlecht geführte, unterfinanzierte Heime verfrachtet" würden. "Solche Einrichtungen sind eigentlich eine Schande", sagte Keupp, um dann wieder auf seine Kernforderung zurückzukommen: "Einweisung in eine psychiatrische Klinik nur im Notfall!"

Keupps kritische Ansprache vom Mittwochmorgen, die auch auf sexuell missbrauchte Kinder und ihr Recht auf "Respekt und die Anerkennung ihres Leids" einging, wirkte auch am darauffolgenden Messetag noch fort. Einer der Fachbesucher machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die Eröffnungsveranstaltung zur ConSozial enttäuscht hatte: "Dass das einzig inhaltlich Substanzielle von einem geehrten Professor kommen muss, das war bodenlos", hieß es da. Und: "Ich war regelrecht entsetzt, dass dort die Wohlfahrtsverbände nicht die Zähne auseinanderkriegen."

Die Organisatoren der Sozialmesse gehen bereits davon aus, dass das Thema "Digitalisierung menschlich gestalten" viele Interessenten angelockt habe. Aber einige der Besucher machen keinen Hehl daraus: Grundsätzlich müssten von einer ConSozial wieder mehr sozialpolitische Impulse ausgehen. "Ein bisschen findet da schon eine Selbstbeweihräucherung statt, wie gut wir doch sind."

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: