Gerade rechtzeitig zum "Chiemsee Reggae Summer" an diesem Wochenende, 26. bis 28. August), ist der Sommer tatsächlich zurückgekehrt. Stürme gibt es allerdings bereits vor dem Festival im oberbayerischen Übersee, das zu den größten Reggae-Veranstaltungen in Europa zählt. Proteststürme.
In diesem Jahr soll dort ein Musiker auftreten, der mit seiner Musik gegen Homosexuelle wettert. Der jamaikanische Reggae-Sänger Capleton rufe in seinen Liedern zum Mord an Schwulen und Lesben auf, empört sich die Grüne Jugend in Bayern in einem offenen Brief an den Veranstalter. "Es ist unfassbar, dass fast in jedem Jahr homophobe Hassmusik auf dem Chiemsee Reggae Summer gespielt werden soll."
Tatsächlich finden sich in Capletons Repertoire Textstellen wie "Fire bun batty bwoy" ("Das Feuer möge den Schwulen verbrennen"). Die deutsche Band Frittenbude will sich deshalb mit dem Musiker weder Bühne noch Programmheft teilen und sagte ihren Auftritt kurzerhand ab.
Festival-Sprecher Michael Buchholz schäumt vor Wut: "Das Line-up stand von vornherein fest. Dass Frittenbude jetzt nachträglich abspringen, ist das Allerletzte", sagt er. Er hält die Absage für scheinheilige PR der Gruppe.
Es verwundert nicht, dass die Nerven aufseiten des Veranstalters blank liegen. Bereits im vergangenen Jahr stand mit Sizzla ein umstrittener Künstler aus Jamaika auf dem Programm, der für homophobe Songtexte bekannt ist. Weil die Kritik aus verschiedenen Lagern zu massiv wurde, sagten die Veranstalter diesen Auftritt kurz vorher ab."Es ist ein Unding, dass wir uns jedes Jahr aufs Neue mit so was herumschlagen müssen", schimpft Buchholz. Der "Chiemsee Reggae Summer" stehe für Meinungs- und Kunstfreiheit, Zensurmaßnahmen und Auftrittsverbote lehne man ab.
Im Fall Capleton ist laut Buchholz ein Kompromiss vorgesehen: Der Sänger wird am Wochenende auftreten - muss sich jedoch vorher öffentlich von seinen problematischen Äußerungen distanzieren und solche während seiner Show unterlassen. Tatsächlich lässt Capleton nun auf der Internetseite des Festivals verlauten: "Ich bin strikt und überzeugt gegen Gewalt und jeglichen Hass."
Für Dimitra Kostimpas, Sprecherin der Grünen Jugend in Bayern, genügt diese Geste keineswegs. "Der Auftritt ist und bleibt untragbar. Wer gegen Minderheiten hetzt, gehört strikt ausgeladen."
Dass gerade rund um Reggaemusik und Künstler aus Jamaika immer wieder eine Debatte um Homophobie entbrennt, ist kein Zufall. Für Markus Hautmann, Autor der Reggae-Magazine "Riddim" und " Reggaeville.com", ist das Problem ein Soziologisches: Weil Homophobie und physische Gewalt gegen Schwule in Jamaika aus verschiedenen Gründen weit verbreitet seien, schlage sich das Gedankengut auch in den Texten nieder. "Die Musiker reden dem Volk nach dem Mund. Sie singen, was dort ankommt", erklärt Hautmann.
Weil genau das eben in anderen Kulturen für Empörung sorgt, sei die Szene mittlerweile allerdings stark im Umbruch. "Nach Auftrittsverboten und Boykotten in Europa gibt es in den Reggaesongs der letzten zwei Jahre kaum mehr homophobe Texte", sagt Hautmann.
Der Experte hat Capleton bereits auf einer Tour begleitet. Seiner Einschätzung nach wird der Musiker auf dem Festival am Chiemsee seine Zunge hüten: "Dass er sich schwulenfeindlich äußert, halte ich für ausgeschlossen. Dafür sind die Auftritte hierzulande für ihn viel zu lukrativ."