Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt:Wieder Prozess um Kirchenasyl

Lesezeit: 2 min

Juliana Seelmann, Ordensschwester des Klosters Oberzell am Main, hat für zwei ausreisepflichtige Frauen aus Nigeria das Kirchenasyl organisiert. Das brachte ihr eine Anklage ein. (Foto: Privat)

Nonne muss sich vor Amtsgericht Würzburg verantworten

Von Dietrich Mittler, München / Zell am Main

Am Donnerstagmorgen haben die Franziskanerinnen des Klosters Oberzell gemeinsam ein Lied gesungen. "Eine Frau wagt es aufzustehen, weil sie nicht mehr schweigen kann, nennt das Unrecht bei seinem Namen", heißt es da am Anfang. Als die Ordensfrauen das Lied anstimmten, richteten sich ihre Gedanken auf ihre Mitschwester Juliana Seelmann. Die 38-jährige Generalrätin der Oberzeller Franziskanerinnen muss sich am kommenden Mittwoch vor dem Amtsgericht Würzburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" in zwei Fällen vor. "Wir nennen es Kirchenasyl", sagt Katharina Ganz, die Generaloberin. Ihre Mitschwester sei ihrem Gewissen und ihrer christlichen Grundüberzeugung gefolgt.

Das zu klären, ist am 2. Juni Aufgabe des Gerichts. Doch steht mehr im Raum, wie nun aus einer Online-Pressekonferenz hervorging. Es geht auch darum, welches Leid der Freistaat missbrauchten Frauen aufbürdet, indem er sie gemäß der Dublin-Verordnung dorthin zurückführen lässt, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Im Fall der zwei Nigerianerinnen, die im Kloster Oberzell Kirchenasyl fanden, ist das Italien. Dort waren sie unter brutalen Umständen zur Prostitution gezwungen worden. "Es ist schockierend, was sie erlebt haben", sagt Schwester Juliana Seelmann. Sie und ihre Generaloberin sprechen von einem System der Angst, dem die Frauen aus Nigeria ausgesetzt gewesen seien. Zwei Vertreterinnen der Frauenhilfsorganisation Solwodi reden gar von "Mafia-Strukturen". Bislang aber gebe es staatlicherseits "keine Überlegungen", davon betroffenen Frauen zu helfen.

Solwodi hatte das Oberzeller Kirchenasyl für die zwei Nigerianerinnen vermittelt. Jürgen Heß vom Würzburger Flüchtlingsrat spricht im Oberzeller Fall "von einem humanitären Auftrag, den der Staat nicht mehr zu gewährleisten bereit" sei. Den Nigerianerinnen hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bescheinigt, dass es sich bei ihnen nicht um Härtefälle handele. Auch darauf baut die Staatsanwaltschaft ihre Anklage auf. Die zwei Frauen aus Nigeria, so die Argumentation, hätten Deutschland verlassen müssen, und Schwester Juliana habe ihnen durch ihr "sogenanntes Kirchenasyl" ermöglicht, die Ausreise zu umgehen.

Gemäß einer Übereinkunft des Bamf mit der katholischen und der evangelischen Kirche wurden 2015 strenge Regeln zu Kirchenasylen ausgehandelt, die es ermöglichen, dass der jeweilige Asylfall erneut überprüft wird. An diese Vorgaben, so betonen die Oberzeller Ordensfrauen, habe sich Schwester Juliana gehalten - vergleichbar dem kürzlich vom Amtsgericht Kitzingen freigesprochenen Benediktiner-Mönch Bruder Abraham Sauer. Gegen diesen Freispruch hat die Staatsanwaltschaft allerdings Rechtsmittel eingelegt.

Wie Sauer wird auch die Franziskanerin Juliana Seelmann vom Münchner Rechtsanwalt Franz Bethäuser vertreten, der seine Argumentation einmal mehr auf die verfassungsmäßig garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit konzentrieren will. Aber auch darauf, dass Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sein Wort darauf gegeben habe, dass Kirchenasyle im Freistaat nicht gewaltsam geräumt werden. Folglich hätten die Betroffenen faktisch und legal ein Duldungsrecht. Bettina Nickel, ebenfalls Rechtsanwältin und stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros Bayern, ist kein weiteres Bundesland bekannt, in dem Fälle von Kirchenasyl so restriktiv verfolgt werden wie im Freistaat. Nun gehe es um die grundsätzliche Klärung der Frage, ob "Kirchenasyl weiterhin kriminalisiert wird", sagte sie.

© SZ vom 28.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: