Bayerisches Abgeordneten-Wohnheim:Im dritten Stock duscht Glück

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Ihre Zeit abseits des Politiker-Lebens verbringen bayerische Abgeordnete in der Parlaments-WG: mit Partys auf der Dachterrasse und Tütensuppe.

Christine Burtscheidt

Bei Staatskanzleichef Eberhard Sinner (CSU) kann es abends oft spät werden. Am Dienstag war wieder so ein Tag. Erst gab er ein Interview, später musste er mit Chefredakteuren essen. Vor 24 Uhr kommt er dann nicht nach Hause. Da passiert es schon mal, dass er sich zu fortgeschrittener Stunde in der Adresse irrt. So soll er jüngst minutenlang vergeblich versucht haben, mit dem Schlüssel seine Haustür aufzusperren, bis ihm klar wurde: Das ist der falsche Stock. Hier wohnt der Grünen-Abgeordnete Thomas Mütze. Der wunderte sich vermutlich, wer an seiner Tür herummacht.

Das Leben im Abgeordneten-Wohnheim: Zur Grünen-Party holt Staatskanzleichef Eberhard Sinner (CSU) schon mal den Bocksbeutel raus. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Der Aschaffenburger Mütze kommt immer wieder in unfreiwilligen Kontakt mit seinen Nachbarn. Vor allem morgens. Da duscht nämlich der Wohngenosse über ihm, der notorische Frühaufsteher Alois Glück. Wenn sich Mütze um fünf Uhr früh gerade im Bett umdreht, geht im Stock darüber der Wasserhahn an oder fällt die Tür ins Schloss. Doch Glück ist nicht der Nachbar, der den Abgeordneten Mütze am meisten traktiert. Das ist Staatskanzleichef Sinner. "Wenn ich die Akten auf den Boden knalle, fällt der aus dem Bett", behauptet er.

Die drei Herren hausen in einer Art Wohngemeinschaft - allerdings auf hohem Niveau. Während der Sitzungswochen leben von den 180 Landtagsabgeordneten mehr als ein Drittel Tür an Tür im Münchner Abgeordneten-Wohnheim. Das sind zwei Häuser in der Inneren Wiener und der Max-Planck-Straße, unterteilt in 68 Appartements, jedes misst genau 25 Quadratmeter.

Die Politiker-WG bietet all jenen abends Zuflucht, die es nicht mehr in ihren Stimmkreis schaffen. Es ist die Heimstatt für die Di-Mi-Do-Abgeordneten, die zu den Ausschusssitzungen und Plenumsdebatten von weither anreisen - aus Hof, Coburg, Röhn-Grabfeld oder eben auch Aschaffenburg. Und dann nach den Sitzungstagen am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag schnell wieder in ihren Wahlkreis verschwinden.

Im Sandwich

Die 13c in der Inneren Wiener Straße liegt zwischen dem Kücheneinrichter Cucina und dem Immobilienmakler Graf versteckt in einem Hinterhof. Auf dem roten Klingelschild am Eingang stehen Namen wie von Rotenhan, Stahl, König oder von Lerchenfeld. Sie zählen zum Fußvolk der CSU-Mehrheitsfraktion und wohnen deshalb wohl auch hier nur im ersten Stock. Parteiobere wie Glück, Sinner oder jene, die einst dazu gehörten, wie die ehemalige Staatssekretärin Marianne Deml, residieren im dritten Stock, direkt unter der Dachterrasse. Die Zimmer werden nach der Anzahl der Sitze der Landtags-Fraktionen verteilt. Da die CSU fünf Jahre lang die absolute Mehrheit hatte, blieb der Opposition diesmal nur der zweite Stock. "Wir sind hier im Sandwich", kommentiert das der Grüne Mütze, als sei das Haus ein schwarzes Brötchen mit rot-grüner Füllung.

Was dem Abgeordneten vom Leben während langer Sitzungstage übrigbleibt, spielt sich im Wohnheim ab. Viel ist es nicht. Manche wie der niederbayerische Grünen-Abgeordnete Eike Hallitzky machen selbst hier die kurzen Nächte noch zum Tag, beantworten Briefe und arbeiten Aktenstapel weg. Nach dem Motto: Schlafen kann ich wieder zuhause. Anderen wie dem Oberpfälzer SPD-Abgeordneten Reinhold Strobl gelingt es immerhin, sich ab und an mit seinen Parteigenossinnen Gudrun Peters und Heidi Lück zum Frühstück zu verabreden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es sich die Abgeordneten in ihrem Appartments gemütlich machen ...

Nur die Grünen stechen aus dem grauen Alltag mit ihren Dachterrassen-Feten hervor. Selbst CSU-Mann Sinner ist davon begeistert: "Wenn es darauf ankommt, habe ich den Bocksbeutel griffbereit." Recht viel mehr, als dass alle Politiker trinkfest sind, erfährt man über die wenigen interfraktionellen Zusammenkünfte jedoch nicht. Nur so viel: Sinner sagt, man sollte sich nicht nur bei privaten Parties, sondern auch bei öffentlichen Parlamentsdebatten daran erinnern, dass "wir alle Menschen sind".

Sinner ist in der 13c so etwas wie der Hausmeister. Er wohnt hier seit der Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 1996 und ist auch während der Woche meistens da. Anreise ist für ihn schon am Sonntagabend, Abreise oft erst am Freitag. Viele Abgeordnete nutzen das Appartement auch als Büro - sie haben keinen Platz mehr im Landtag. Deshalb zahlen sie auch nur die halbe Miete: 270 Euro inklusive Putzfrau. "Ein Spottpreis", wie der Grünen-Abgeordnete Mütze meint. Danach lecke sich jeder Student in München die Finger.

Jagdszenen

Die 32 Wohnbüros in 13c strahlen dabei unisono den Charme eines Landtagssitzungssaals aus: grüne Holzstühle mit grauem Sitzbezug, so wie sie auch in jedem Ausschuss-Zimmer im Maximilianeum stehen. Die Möbel gehören zum festen Heim-Inventar. Zur Grundausstattung zählen ein Bett, ein Tisch, ein Regal und zwei mit beigem Stoff bezogene Lampen. So ähnlich die Zimmer auch sind, es gibt durchaus Unterschiede.

Bei Sinner etwa steht das Bett passend zum Parteibuch rechts, beim SPD-Abgeordneten Strobl links. Irgendwie versucht auch jeder der Bewohner seinem Raum eine besondere Note zu geben. Zu den wenigen persönlichen Habseligkeiten des Staatskanzleichefs gehören zum Beispiel ein stiller Diener für eine kleine Krawatten-Auswahl, die Fotos der Enkel auf dem Schreibtisch sowie eine Postkartensammlung, die Jagdszenen zeigt. Oben im Regal sind Erinnerungsstücke aufgereiht, darunter eine Prosecco-Flasche mit dem treffenden Etikett "BSE". Es ist ein kleines Geschenk, das noch aus Sinners politisch aufregender Zeit als Verbraucherschutzminister stammt.

In den vier Wänden des SPD-Abgeordneten Strobl erinnert lediglich eine Yukapalme und ein weißer Bettvorleger an ein Leben jenseits der Politik. Schon als er die Tür öffnet, räumt er ein, man könne es sich auch gemütlicher machen. Da der Oberpfälzer jedoch als Nachrücker 2005 in den Landtag kam, will er erstmal abwarten, wie das Ergebnis bei den Landtagswahlen im September ausfällt. Kommt er wieder rein, soll noch ein Ausziehsofa für die Ehefrau angeschafft werden. Wenn nicht, lohnt sich die Anschaffung nicht.

Der Grünen-Abgeordnete Mütze teilt sich sein Zimmer immerhin noch mit einem Fahrrad sowie zwei Plakaten. Sie lehnen an der Wand, genauso wie er sie dort vor fünf Jahren abgestellt hat, als er in den Landtag eingezogen ist. Zum Aufhängen hat die Zeit nie gereicht. Auch gekocht wird in der Abgeordneten-WG nur wenig. Sinner sagt, wenn es sein müsse, mache er sich eine Tütensuppe auf. Fraktionskollege Strobl gießt sich nicht einmal einen Kaffee auf. Er geht lieber raus und trinkt ihn im Stehen. Dazu gibt es eine Wurstsemmel.

© SZ vom 01.08.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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