Bahn in Bayern:Bahn bremst Behinderte aus

Lesezeit: 3 min

Spontan mit dem Zug fahren geht nicht: Von den etwa 1000 Bahnhöfen in Bayern sind gut 800 nicht barrierefrei, weil dafür das Geld fehlt

Katja Auer

Als Anita Knochner neulich mit dem Gabelstapler aus dem Zug gehievt wurde, da dachte sie wieder einmal, dass das doch kein Zustand sei mit der Bahn in Bayern. Die Behindertenbeauftragte der Staatsregierung sitzt im Rollstuhl und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Klagen von behinderten Menschen über die Mühen des Zugfahrens.

(Foto: Foto: Getty Images)

"Es kann doch nicht sein, dass behinderte Menschen so sehr eingeschränkt werden", klagt Knochner über nicht barrierefreie Bahnhöfe und mangelnden Service. "Schließlich sind viele auf die Bahn angewiesen, weil sie ja auch nicht Auto fahren können."

Ein aktueller Bericht des Verkehrsministeriums bestätigt ihre düstere Analyse: Etwa 1000 Bahnhöfe gibt es demnach in Bayern, und gut 800 davon sind nicht barrierefrei. Weil das Geld fehlt, sei ein behindertengerechter Ausbau auch nicht in Sicht, geht aus dem Bericht hervor. Etwa eine Milliarde Euro sei nötig, um alle Bahnhöfe barrierefrei umzubauen.

Es geht um den Einbau von Aufzügen und Rampen und um die Standardisierung von Bahnsteighöhen. Das betrifft nicht nur Rollstuhlfahrer. Auch ältere Menschen oder Eltern mit Kinderwagen haben Schwierigkeiten an Bayerns Bahnhöfen.

Geldgeber ist der Bund, er stellt für den Ausbau bayerischer Verkehrsstationen jährlich 30 Millionen Euro zur Verfügung. Der Freistaat zahlt freiwillig dazu. Mit einem "nennenswerten Eigenanteil" der DB Station und Service AG als Eigentümerin der Bahnhöfe könne dagegen nicht gerechnet werden, heißt es in dem Bericht. Denn diese sei "zum wirtschaftlichen Einsatz der Eigenmittel verpflichtet".

Weitgehend barrierefrei sind bislang nur die S-Bahn-Stationen in München und Nürnberg. Ein Ausbauplan der Bahn sieht vor, dass bis 2012 die großen Bahnhöfe in Aschaffenburg, Augsburg, Ingolstadt, München-Pasing, München-Ost, Passau, Rosenheim und Würzburg ausgebaut werden.

Die Hauptbahnhöfe in München und Nürnberg sind bereits barrierefrei, so dass 2012 dann 80 Prozent der Fahrgäste ohne Einschränkung reisen könnte, sagte eine Bahnsprecherin. "Es kommt doch nicht auf die Zahl der Bahnhöfe an, sondern darauf, wie viele Fahrgäste es betrifft." Zudem müsse man sozusagen "unter dem rollenden Rad" bauen - und das dauere. Und dann sei da noch "der Riesenfaktor Geld".

Anita Knochner sieht das anders. "Acht Bahnhöfe in sechs Jahren, das kann doch nicht solange dauern", sagt sie. Knochner sieht dabei die Bahn auch finanziell in der Pflicht. "Wer ist hier eigentlich der Serviceleister", fragt sie. In Coburg läuft bereits eine Unterschriftensammlung, um den Druck auf die Bahn zu erhöhen.

Fliegen als Alternative

Anita Knochner selbst fliegt lieber, anstatt mit der Bahn zu fahren, da im Flugzeug stets alles reibungslos funktioniere. Über die Bahn müsse sie sich dagegen regelmäßig ärgern. Vor allem, seitdem das Servicepersonal immer weniger werde. Erst vor kurzem hat die Bahn den Service am Nürnberger Hauptbahnhof eingeschränkt. Dort können Behinderte jetzt nur noch bis 23 Uhr umsteigen.

Damit hat auch Heidi Dintel schon ihre Erfahrungen gemacht. Die 60-Jährige ist Behindertenbeauftragte der Stadt Memmingen und ebenfalls Rollstuhlfahrerin. Wenn sie von Memmingen nach München fahren will, kommt das einer Odyssee recht nahe.

Vor zehn Uhr schafft sie es zu keinem Termin in München, da der sogenannte Mobilitätsservice am Memminger Bahnhof nur von 6.30 Uhr bis 23 Uhr zur Verfügung steht. Die Bahn hat ihn mangels eigenem Personal ausgelagert, ein örtlicher Taxiunternehmer hilft Heidi Dintel nun in den Zug.

Voraussetzung dafür ist allerdings eine rechtzeitige Anmeldung, denn wer Hilfe beim Ein- und Aussteigen braucht, muss seine Fahrten in ganz Bayern bei einer zentralen Rufnummer bis zu drei Tage vorher anmelden. Zudem nimmt Heidi Dintel nur durchgehende Züge. Denn sonst müsste sie in Buchloe umsteigen und das sei mittlerweile beinahe unmöglich, obwohl Buchloe ein Knotenbahnhof ist. Es gibt dort allerdings niemanden mehr, der behinderten Umsteigern hilft.

Stattdessen läuft gerade ein Pilotprojekt der Bahn: Mobiles Personal soll den Bahnhof von Augsburg aus betreuen, mit der Konsequenz, dass nur noch von elf bis 18 Uhr umgestiegen werden kann - nach rechtzeitiger Voranmeldung.

"Spontan mit dem Zug fahren geht nicht", sagt Heidi Dintel. Die nicht barrierefreien Bahnhöfe seien die eine Seite, aber andererseits helfe es behinderten Menschen auch nicht weiter, wenn sie bis zum Gleis kämen, dort aber nicht einsteigen könnten. "In meinen Augen denkt die Bahn da sehr kurzsichtig", sagt sie. Schließlich seien angesichts des demographischen Wandels immer mehr Menschen betroffen. "Das ist ja auch ein Fahrgastpotential."

Die Parteien im Landtag sind sich ausnahmsweise einig, dass der Bahnhofsausbau schneller vorangehen müsse. Der Bericht zeige, "wir haben Nachholbedarf, aber kein Geld", lautet die übereinstimmende Meinung im Verkehrsausschuss. Eine Lösung wusste allerdings keiner.

© SZ vom 19.05.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: