Bad Windsheim:Versuchter Mord in 42 Fällen

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Im fränkischen Bad Windsheim wollten vier Rechtsradikale ein Wohnhaus anzünden, in dem vorwiegend Ausländer leben. Jetzt klagt die Staatsanwalt die Täter an.

Olaf Przybilla

Als Hayati Hurman und Önder Güngör am Tag nach dem Brandanschlag in die Lokalzeitung schauten, wollten sie ihren Augen nicht trauen. Den Beamten hatten mehrere Bewohner eines vorwiegend von Menschen ausländischer Herkunft bewohnten Hauses in Bad Windsheim zuvor sehr präzise geschildert, was sie gesehen hatten: Es waren drei junge Männer und eine junge Frau, die mehrere Brandsätze auf das Wohnhaus mit den vier Stockwerken im fränkischen Bad Windsheim geschleudert hatten.

Bad Windsheim: Opfer Hurman und Güngör vor ihrem Wohnhaus. (Foto: Foto: Olbert)

"Das war kein dummer Jungenstreich, das war ein Mordanschlag", sagten nicht nur die beiden Männer, die den Beamten gegenüber kategorisch ausschließen konnten, dass die Attentäter aus dem Haus stammten.

"Wir kennen hier alle Bewohner, die Werfer sahen wie Neonazis aus", erklärten sie. Als Hurman und Güngör dann lesen mussten, was die Beamten der Lokalpresse erzählt hatten, waren beide fassungslos. Ein Anschlag mit "fremdenfeindlichem Hintergrund" könne zwar nicht ausgeschlossen werden, wurde gemeldet. Allerdings habe es ",zuletzt vermehrt Streitigkeiten zwischen den Hausbewohnern verschiedener Nationalität" gegeben.

Hurman und Güngör haben an diesem Tag "beinahe den Glauben an den deutschen Rechtsstaat" verloren. Man habe die permanenten Polizeikontrollen in ihrem Viertel, einem Viertel mit hohem Ausländeranteil, immer stoisch über sich ergehen lassen - auch wenn man sich selbst noch nie etwas zuschulden habe kommen lassen, erklären sie.

Dass dann aber der Verdacht öffentlich auf das "Multikulti"-Haus gelenkt wurde - als hätten die Bewohner einen Anschlag auf sich selbst verübt -, das hat die Hausbewohner entsetzt.

Die Anklageschrift der Nürnberger Staatsanwaltschaft liest sich jetzt wie eine späte Bestätigung für die beiden, allerdings mehr als 13 Monate nach der Tat. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen vier Neonazis wegen versuchten Mordes in 42 Fällen.

Die Anklagebehörde ist davon überzeugt, dass die drei zur Tatzeit 16 und 17Jahre alten Männer und die 17 Jahre alte Frau am frühen Morgen des 2. Oktober 2006 ein Attentat auf die Bewohner des Hauses in Bad Windsheim verübt haben - aus ausländerfeindlichen Motiven.

Zur Tatzeit hielten sich 42 Menschen in dem Haus auf, die Staatsanwaltschaft geht deshalb nun von einem "aus niedrigen Motiven, heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen versuchten Mord in 42 Fällen" aus, in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung.

Gräber geschändet

Überdies wirft die Staatsanwaltschaft zwei der Angeklagten vor, am Abend des 24. Februar 2007 in Diespeck (Landkreis Neustadt-Bad Windsheim), zirka 20 Kilometer von der Kurstadt entfernt, einen jüdischen Friedhof geschändet zu haben. 63 Grabsteine wurden umgeworfen, weitere elf zum Teil schwer beschädigt. Beide Männer sollen dabei von der ebenfalls angeklagten Frau unterstützt worden sein. Alle drei werden deswegen zusätzlich wegen Sachbeschädigung und Störung der Totenruhe angeklagt.

Einer der Angeklagten habe bei den Ermittlungen angegeben: "Ich hasse Ausländer." Ein anderer bezeichnete sich als Skinhead und fühle sich "der rechten Szene zugehörig".

Direkt nach der Verwüstung des jüdischen Friedhofs hatte die Polizei bekannt gegeben, in Diespeck "könnte es sich um eine Tat von Vandalen ohne politischen Hintergrund" gehandelt haben. Den vier Angeklagten drohen nun bis zu zehn Jahre Jugendhaft.

Die Opposition im Landtag hat die Anklageerhebung am Dienstag zum Anlass genommen, die CSU zu "verbaler Abrüstung" aufzufordern. Die Äußerung des Parteichefs Erwin Huber, der auf dem CSU-Parteitag in Würzburg "Multikulti" als "Brutstätte der Kriminalität" bezeichnet hatte, sei "völlig inakzeptabel und Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten", erklärte Christine Stahl von den Grünen.

© SZ vom 21.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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