Bad Berneck im Fichtelgebirge:Bayerns Griechen

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Schulden machen nur die anderen? So dröhnt es aus Bayern. Ministerpräsident Seehofer will bis 2030 sogar einen schuldenfreien Haushalt. Aber auch der Freistaat hat seine Problemfälle. Trotz Millionenhilfe ist Bad Berneck im Fichtelgebirge pleite.

Mike Szymanski

Nach anderthalb Stunden findet Bürgermeister Jürgen Zinnert, es sei nun an der Zeit, nicht mehr nur über die knapp elf Millionen Euro Schulden zu reden, die auf der Soll-Seite seiner Stadt stehen. Der 53-jährige SPD-Politiker will etwas Schönes über Bad Berneck sagen. Er lehnt sich weit vor: "Wir haben auch positive Seiten", beginnt er, "die tolle Natur zum Beispiel."

Die Idylle im Fichtelgebirge trügt: Bad Berneck hat knapp elf Millionen Euro Schulden und ist damit "nicht mehr handlungsfähig", sagt Bürgermeister Jürgern Zinnert (SPD). (Foto: SEYBOLDT4MEDIA)

Ein Blick aus dem Fenster in seinem Amtszimmer gibt ihm recht: Bunte Fachwerkhäuser schmiegen sich an den Berg. Davor fließt die Ölschnitz. Wenn sie denn fließt. Eben noch waren Feuerwehrleute im Rathaus. Der Fluss ist zugefroren, das Wasser droht sich einen anderen Weg zu suchen. Wenn Zinnert so etwas hört, kann er sich schon denken: Das wird teuer. Aber so ist das in Bad Berneck in Oberfranken. Man hat Mühe, sich die geschenkte Natur leisten zu können.

Im Moment reden alle über Geld, über die gewaltige Schuldenkrise im Euro-Land, über die verschuldeten Bundesländer. Und die lautesten, die oberlehrerhaftesten Wortmeldungen kommen dieser Tage aus Bayern. Bayern schickt sich an, das haushaltspolitische Utopia zu werden. Ministerpräsident Horst Seehofer will sogar bis 2030 alle Schulden des Freistaats zurückbezahlen: 32 Milliarden Euro. Die Schuldenmacher, das sind immer die anderen - so dröhnt es aus Bayern.

Aber auch der Freistaat hat seine Problemfälle. In dem einst prächtigen Kurort im Fichtelgebirge ist die Zeit stehengeblieben, als man noch Kurmittelhäuser aufsuchte und sich Anwendungen verabreichen ließ. Alles hier ist in die Jahre gekommen. Als selbst die treuesten Kurgäste nicht mehr kommen wollten, blieb ein Ort ohne Einnahmen und ohne eine Idee für die Zukunft zurück. "Bad Berneck - das versteckte Paradies" so steht es am Ortseingang. Es ist aber schon lange her, dass sich hier jemand auf die Suche nach dem Paradies gemacht hätte.

Die Fichtelgebirgsstadt mit knapp 5000 Einwohnern ist nicht nur arm dran. Sie ist auch noch pleite. "Nicht mehr handlungsfähig", korrigiert der Bürgermeister. Eine Stadt könne schließlich nicht aufhören zu existieren wie ein insolventes Unternehmen. Vor zehn Jahren hatte Bad Berneck etwa vier Millionen Euro Schulden, aktuell sind es knapp elf Millionen - so viel Miese, wie der Gesamthaushalt überhaupt an Geld umfasst. Und wenn die Bernecker dürften, würden jedes Jahr drei Millionen Euro an Krediten dazukommen, weil die Kanalisation instand gesetzt werden muss. Aber sie dürfen nicht. Der letzte Haushaltsplan wurde schon nicht mehr genehmigt. Für Zinsen und Tilgung musste die Stadt 2011 mehr als eine Million Euro aufbringen. "Die freien Einnahmen der Stadt reichen nicht mehr aus, um den Schuldendienst zu decken", teilt das Landratsamt Bayreuth mit.

Zinnert: "Wir haben das Geld nicht für irgendwas verknallt"

Um es mit den Worten von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt auszudrücken, als er über Griechenland redete: Bad Berneck wäre demnach so ein "Fass ohne Boden", in das nicht "unendlich Geld gekippt" werden dürfe. Bad Berneck ist in jedem Fall ein Beispiel dafür, dass die Welt nicht so einfach ist, wie die CSU-Spitze sie gerne malt: Wer nicht spart, fliegt aus dem Euro-Club! Wer sich nur anstrengt, kann es schaffen! Von Bayern lernen, heißt haushalten lernen!

Natürlich stellt sich die Frage: Hat Bad Berneck schlecht gewirtschaftet? Bürgermeister Zinnert sagt: "Wir haben das Geld nicht für irgendwas verknallt." Die letzten großen Investitionen liegen fast zehn Jahre zurück, und man kann nicht wirklich behaupten, die Stadt hätte Geld verschleudert: Sie baute eine Turnhalle, sanierte die Trinkwasseraufbereitungsanlage und die Hochbehälter. Auf Pump. Pech kam auch noch dazu: Weihnachten 2010 zerstörte ein Brand im Feuerwehrhaus alle Fahrzeuge und richtete einen Schaden von zwei Millionen Euro an. Ein großer Arbeitgeber ging in die Insolvenz, die Steuereinnahmen brachen weg. "Die Frage, die wir uns gefallen lassen müssen, lautet: Hätten wir uns früher auf schlechte Zeiten einstellen müssen?", sagt Zinnert. Die Kanalsanierung etwa schiebt die Stadt seit Jahren vor sich her. Insgesamt etwa 15 Millionen fallen dafür an.

Die Staatsregierung hat längst akzeptiert, dass es Städte gibt, die sich aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen wissen. 2007 startete die Staatsregierung, anders als sonst mal ganz ohne großes Getöse, einen Modellversuch und begann, im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs bis Ende vergangenen Jahres an 32 ausgewählte, dauerhaft "finanziell notleidende Kommunen" Konsolidierungshilfen auszuzahlen: knapp 52 Millionen Euro nur für den Schuldenabbau. Im Gegenzug verpflichteten sich die Kommunen zu sparen. Man kann sich das tatsächlich ein bisschen wie in Griechenland vorstellen, nur dass die berühmt gewordene Troika aus den Finanzfachleuten der Rechtsaufsicht, Vertretern des Kommunalen Prüfungsverbandes und des Freistaats besteht und nicht ganz Europa bei jedem Schritt zuschaut.

2,4 Millionen Euro hat der Freistaat seither nach Bad Berneck überwiesen. Eine gewaltige Summe für so eine kleine Stadt. Die Auflagen dafür waren streng. Einem Bürgermeister und einem Stadtrat kann schnell die Lust am Regieren vergehen, wenn man einen Aufgabenkatalog wie diesen vorgelegt bekommt: "Personalstand in der Kernverwaltung sozialverträglich um 1,3 Kräfte reduzieren: 78 000 Euro", "Umstellung Sommerbepflanzung auf Dauerbepflanzung: 7000 Euro". Und, und, und.

Ein Ausflug mit Bürgermeister Zinnert durch die Stadt ist heute ein sehr deprimierendes Erlebnis: "Können wir nicht", "Haben wir nicht", "Dürfen wir nicht" - das sind seine Antworten, wenn er seinen Wagen durch die Straßen lenkt und zeigt, wo er überall gerne investieren würde. Im Ortsteil Goldmühl ist die Hauptstraße nur zur Hälfte neu asphaltiert. Dort könnte man mit dem Zollstock vermessen, wie weit das Geld gereicht hat. Das Hallenbad ist längst dicht, das defizitäre Kurmittelhaus abgestoßen. Der Bürgermeister hat auf eine Gehaltsstufe verzichten müssen, den Vereinen wurden die Zuschüsse gekürzt.

Um etwa eine halbe Million Euro hat sich die Bilanz verbessert - aber von Konsolidierung kann nicht die Rede sein. "Wenn es dieses Programm nicht gegeben hätte, hätten wir einfach 2,4 Millionen Euro mehr an Schulden", sagt Kämmerer Ulrich Bayer. "Die Schulden kleben an uns", sagt der Bürgermeister. Noch mehr anstrengen? Noch mehr sparen? Zinnert zuckt mit den Schultern. Aus eigener Kraft gehe nichts mehr, sagt er. Es ist eine Abwärtsspirale. Selbst wenn die Bernecker wollten - ihnen fehlt das Geld, um sich neu zu erfinden. Man kann eine Stadt auch kaputtsparen.

Zinnert erzählt, dass der Fichtelgebirgsverein einen Aussichtspavillon errichtet hat. Er freut sich, wenn Bürger sich für die Stadt engagieren und hinterher keine Rechnung stellen. "Und dann wird erwartet, dass man den Vereinen Zuschüsse streicht", sagt er. So stirbt am Ende sogar das, was nichts kostet.

© SZ vom 14.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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