Ausstellung über NS-Terror:Ungesühnte Verbrechen

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In einer Ausstellung gibt das Staatsarchiv München Einblick in die Gerichtsprozesse gegen NS-Verbrecher, die größtenteils eingestellt wurden. (Foto: dpa)

Eine Ausstellung im Staatsarchiv erinnert an die juristische Aufarbeitung des Nazi-Terrors in Bayern. Weil 95 Prozent der Verfahren eingestellt wurden, kamen fast alle Täter ungestraft davon.

Von Hans Kratzer, München

55 Millionen Menschen sind im Zweiten Weltkrieg (1939-45) gewaltsam ums Leben gekommen, allein elf Millionen Häftlinge fielen dem Terror in Konzentrations- und Vernichtungslagern zum Opfer. Angesichts dieses Furors sind es aber oft gerade die unscheinbaren Schicksale, die einen selbst aus der Distanz von Jahrzehnten noch erschüttern. In den in seiner Behörde verwahrten NS-Unterlagen sei er auf die Geschichte eines fünf Jahre alten Zwillingspaars gestoßen, sagt der Münchner Archivdirektor Christoph Bachmann. Hand in Hand hätten sich die Kinder vor der Grube aufgestellt, wo sie erschossen werden sollten, "dann fragten sie, ob sie richtig stünden!"

Das menschliche Leid und die Zerstörungen, die das Nazi-Regime angerichtet hat, sind ohne Beispiel. Die Frage nach der Verantwortung sowie nach Schuld und Sühne beschäftigt Bachmann seit vielen Jahren, auch weil er bei seinen Recherchen im Archiv auf so viele bewegende Schicksale stieß. Der Leiter des Staatsarchivs München hat Tausende Verfahrensakten und Massen von Unterlagen zu NS-Verbrechen gesichtet. Aus dieser Fülle hat er einige Strafprozesse ausgewählt, die herausragen. Deren Zeugenaussagen, Fotos und sonstiges Material werden nun in einer kleinen Ausstellung präsentiert, die einen außergewöhnlichen Einblick in die Verfolgung der NS-Verbrechen durch oberbayerische Justizbehörden gewährt.

Zahlreiche Prozesse

Die Alliierten hatten gleich nach dem Kriegsende die Verfolgung der Täter eingeleitet und die Hauptkriegsverbrecherprozesse in Nürnberg organisiert. Die Amerikaner führten anschließend weitere zwölf Nürnberger Folgeprozesse sowie die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse, bei denen verbrecherische NS-Organisationen sowie Tätergruppen und Einzeltäter abgestraft wurden. Seit Ende 1945 durften auch die deutschen Gerichte wieder Recht sprechen, aber erst von 1950 an durften auch sie Kriegsverbrechen aburteilen. Darüber hinaus konnten jetzt Ermittlungsbehörden und Gerichte in Eigenregie Straftaten mit nationalsozialistischem Hintergrund verhandeln und strafen, was in den Archivakten umfassend dokumentiert ist.

Die Verbrechen im Konzentrationslager Dachau nehmen in der Ausstellung einen gewichtigen Platz ein. Das liegt insofern nahe, als die juristische Aufarbeitung ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft München II fiel. Die Nazis hatten das KZ Dachau zu einem Musterlager ausgebaut, das allein durch seine Existenz Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten sollte. Regimegegner wurden dort zum Schweigen gebracht, nachweislich 31 591 Häftlinge fanden in Dachau den Tod. Diese Verbrechen beschäftigten die Staatsanwaltschaft München II bis in die 70er Jahre.

Medizinische Versuche im KZ Dachau

Ein bedrückendes Kapitel in der Historie des KZ Dachau waren die medizinischen Versuche an Häftlingen, die in den Strafverfahren dokumentiert wurden. Die sogenannten Phlegmoneversuche (Infizierung mit Wundeiter) des Dr. Heinrich Schütz, die Malariaversuche von Prof. Klaus Schilling sowie die Unterdruck- und Unterkühlungsversuche von Dr. Sigmund Rascher waren sinnlos und oft nur voyeuristischer Natur. Nachdem Rascher Menschen auf 27 Grad abgekühlt hatte, sollte nackte Bordelldirnen die bewusstlosen Opfer wieder aufwärmen. Dutzende starben dabei. Der Tod der Betroffenen wurde bewusst in Kauf genommen. Die in der Ausstellung nachzulesenden Berichte überlebender Häftlinge und die dazugehörigen Bilder sind in ihrer Eindringlichkeit kaum auszuhalten.

Ein weiterer Abschnitt widmet sich den Verfahren zu NS-Gewaltverbrechen, deren Überlieferung man nicht unbedingt in den Beständen des für Oberbayern zuständigen Staatsarchivs vermuten würde. Sie betreffen den Tod von prominenten Häftlingen wie der Ordensschwester Edith Stein und dem Tischler Georg Elser, der 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Hitler verübt hatte, das dieser nur knapp überlebte.

Eminent spannend ist auch der Fall des sowjetischen Artillerieoffiziers Jakob Iossifowitsch Dschugaschwili, der im Juli 1941 bei Witebsk in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Die NS-Propaganda versuchte aus dem Fall Kapital zu schlagen, immerhin handelte es sich um Stalins ältesten Sohn. Zusammen mit dem Neffen des sowjetischen Außenministers Molotow wurde er in das KZ Sachsenhausen gebracht. Mehrere Versuche der Deutschen, den prominenten Häftling gegen den in der Sowjetunion inhaftierten Generalfeldmarschall Friedrich Paulus auszutauschen, wurden von den Sowjets abgelehnt. 1943 kam Dschugaschwili im Lager zu Tode, ein Posten soll ihn unter ungeklärten Umständen erschossen haben.

Nur wenige hundert Verurteilte

Die Ausstellung ist aber nicht nur wegen des Inhalts der Dokumente und Zeugenberichte von großem Belang. Laut Bachmann soll sie nicht zuletzt den Aufwand belegen, der nötig war, um einen Kriegsverbrecher anzuklagen. Salopp könnte man resümieren, es wurde viel Aufwand betrieben, aber wenig Ertrag geerntet. Nicht umsonst steht hinter dem Ausstellungstitel "Schuld und Sühne?" ein Fragezeichen. Es gab Millionen Opfer, etwa 100 000 Ermittlungsverfahren und wenige hundert Verurteilte. Etwa 95 Prozent aller NS-Verfahren, die durch oberbayerische Justizbehörden geführt worden sind, seien eingestellt worden, sagt Bachmann.

Die Bedeutung der Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen ist mit Blick auf Sühne und Vergeltung negativ zu bewerten. Das Gewicht liegt somit mehr auf einer pädagogischen Stufe, sagt Bachmann. "Die Auseinandersetzung mit staatlich angeordneten Gewaltverbrechen nützte der Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur, die ihrer diktatorischen Ausgangspunkte eingedenk bleibt."

"Schuld und Sühne? Der Nationalsozialismus vor Gericht." Staatsarchiv München, Schönfeldstr. 3, bis 20. Juni. Montag bis Donnerstag, 8-18 Uhr, Freitag 8-13.30 Uhr. Feiertage geschlossen. Eintritt frei. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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