Ausbau des Münchner Flughafens:"Meine Gemeinde wird faktisch plattgemacht"

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Startbahn-Gegner Christian Magerl könnte der erste grüne Landrat in Bayern werden. Der Airport sorgt für Wohlstand in der Region Freising, aber viele fürchten, dass ihre Heimat unbewohnbar wird - es geht auch um Wachstum als Prinzip.

Sebastian Beck

Es ist ein Ostwind-Abend in Attaching, und damit aus der Sicht von Isabella Schwaiger ein eher schlechter Abend. Einer, an dem Türen und Fenster besser geschlossen bleiben. Aber nicht etwa deshalb, weil draußen auf dem Sportplatz vor ihrem Haus gerade die Fußballjugend trainiert.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Die Anweisungen des Trainers gehen sowieso in einem anhaltenden Grollen unter, das sich anhört, als sei eine Gewitterfront im Anzug. Doch es ist nur die Rushhour am Münchner Flughafen. In der Dämmerung zeichnen sich die Scheinwerfer der Jets wie Glühwürmchen am Himmel ab. Ungefähr 1200 Meter von Isabella Schwaigers Balkon entfernt setzen die Maschinen auf der Landebahn Nord auf. Wenn sie später wieder starten, dann kehren sie dem Dorf die Rückseite der Triebwerke zu. Dann schwillt das Grollen zu einem Donnern an, das für Ostwind-Abende in Attaching typisch ist.

Mit all dem, sagt Isabella Schwaiger, da könne sie eigentlich leben. Sie habe sich damit abgefunden. Selbst damit, dass die Wäsche nach dem Trocknen im Garten manchmal nach Kerosin stinke, was schon ein bisschen "pervers" sei. Aber dass jetzt auch noch eine dritte Startbahn gebaut werden soll und von 2011 an die Jets Attaching in nur 70 Metern Höhe überfliegen, das will sie sich nicht mehr gefallen lassen.

Deshalb hat sie wie viele andere in Attaching ein Transparent ans Haus gehängt, auf dem steht: "Dieser Ort soll unsere Heimat bleiben, doch die FMG will uns vertreiben." In der Flughafengesellschaft München sehen die Menschen im Dorf ihren großen Gegner. Und neuerdings auch in der CSU, deren Parteispitze den Ausbau so vehement befürwortet. Deshalb freut sich Isabella Schwaiger über die drastischen Stimmenverluste der CSU bei den Kommunalwahlen am 2. März: "Die haben es mal richtig gebraucht", sagt sie und lacht.

30.000 Jobs und mehr

Nicht nur bei ihr hat sich einiges aufgestaut. Am Sonntag könnte es im Landkreis Freising eine Sensation geben: Dann sind hier Stichwahlen, aus denen womöglich Christian Magerl als Deutschlands erster Landrat der Grünen hervorgehen könnte. Der Landtagsabgeordnete Magerl tritt an gegen Michael Schwaiger von den Freien Wählern, den Bürgermeister der Gemeinde Marzling. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen lagen beide gleich auf. Doch egal, welcher der Kandidaten gewinnt: Der neue Landrat im Landkreis Freising wird auf jeden Fall ein Gegner der Flughafenerweiterung sein.

Sowohl Magerl als auch Schwaiger marschieren im Widerstand gegen das Projekt ganz vorne mit. In der gesamten Region nordöstlich von München gibt es nur noch ein beherrschendes Thema: die dritte Startbahn. Mittlerweile sind es 42Gemeinden, drei Landkreise und 55 Bürgerinitiativen, die sich zu einem Protestbündnis zusammengeschlossen haben. Genau 60.527 Einwendungen sind im Zuge des Verfahrens zur Planfeststellung bei der Regierung von Oberbayern eingegangen.

Der Widerstand wirkt noch entschlossener als in den siebziger und achtziger Jahren: Damals war der Flughafen nach langwierigen Gerichtsverfahren als Ersatz für München-Riem ins Erdinger Moos betoniert worden. Für die Gegner der dritten Startbahn geht es um mehr als nur um eine 4000 Meter lange Piste: Es geht um die Zukunftsperspektive einer ganzen Region, aber vor allem um die Frage, ob das Wachstum nicht doch Grenzen hat.

Dabei könnte es aus Sicht der Flughafengesellschaft FMG gar nicht besser laufen: Im vergangenen Jahr wurden in München 34 Millionen Passagiere gezählt, bis 2020 soll ihre Zahl auf 57 Millionen steigen - mindestens. "Wir gehen dabei von sehr konservativen Schätzungen aus", sagt Flughafenchef Michael Kerkloh. Unter den größten Flughäfen Europas belegt "München Franz Josef Strauß" den siebten Platz, fast 30.000 Menschen sind dort beschäftigt, Tendenz steigend.

"Früher haben hier nur Vögel gesungen." Christian Magerl könnte erster grüner Landrat in Bayern werden - als Startbahn-Gegner. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

In der Region herrscht mittlerweile akuter Arbeitskräftemangel. Und auf den beiden Startbahnen wird es eng. Der Sommer 2008 ist schon so gut wie ausgebucht. Durch den Ausbau könnte die Kapazität von derzeit 90 auf 120 Flugbewegungen pro Stunde erhöht werden, rechnet die FMG vor. Ganz zu schweigen von all den neuen Jobs am Boden. "Wenn bei BMW Arbeitsplätze abgebaut werden, was glauben Sie denn, wo am nächsten Tag die Leute klingeln?", sagt Kerkloh.

Die Flughafenregion brummt - buchstäblich. Im Freisinger Ortsteil Pulling beispielsweise. Mitten durchs Dorf führt die Bahnlinie, alle paar Minuten schließen sich die Schranken, dann rauscht der Zug vorbei. Vorne an der Bundesstraße11 stauen sich die Autos in Richtung Freising und ins Gewerbegebiet am Lerchenfeld, dahinter verläuft die Autobahn A92. Übers Kieswerk heult eine Maschine von Air Berlin.

Es ist eine Symphonie des Lärms, die hier jeden Tag aufs Neue gespielt wird. Häuser sind so gut wie unverkäuflich: "Wer Geld hat, der kommt zum Besichtigen, schaut nach oben - und sagt auf Wiedersehen", erzählt Martin Widhopf, der zu den Veteranen unter den Flughafengegnern zählt, aber nun resigniert hat: "Wenn man das 40 Jahre lang macht, dann wird man mürbe." Direkt an der B11 liegt der Bauernhof von Josef Braun, der auf 54 Hektar Biolandbau betreibt und sich auf Saatgut spezialisiert hat. Ruhe finden er und seine Familie nur noch hinter Lärmschutzfenstern. Falls die dritte Startbahn gebaut werde, müsse er mit täglich 600 Landungen rechnen. "Ich hänge schon narrisch an meinem Hof", sagt er. "Aber irgendwann kannst du das vergessen."

Von Pulling nach Berglern sind es 24 Kilometer Luftlinie nach Osten, genau in der Mitte soll die neue Startbahn liegen. In den Unterlagen zur Planfeststellung sind beide Dörfer rot unterlegt - der durchschnittliche Schallpegel wird hier tagsüber mehr als 60 Dezibel betragen, ist also gesundheitsschädlich, und das bedeutet: völliger Baustopp. "Meine Gemeinde wird faktisch plattgemacht. Das schaffen sonst nur totalitäre Systeme", schimpft Berglerns CSU-Bürgermeister Herbert Knur. Und überhaupt: "Ich werde hier in Sippenhaft genommen, obwohl ich mir seit Jahren den Arsch aufreiße."

Bei der Kommunalwahl ist Knur abgestraft worden, wie viele CSU-Politiker im Umland des Flughafens, egal wie lange sie schon auf Seiten der Bürgerinitiativen kämpfen. Von 70 auf 55 Prozent ist er gefallen, nur weil er bei der CSU ist. Jetzt ist nicht nur Knur verärgert über die Staatsregierung, von der er immer zu hören bekommt, man habe für seine Sorgen vollstes Verständnis, doch der Flughafen sei für die Wirtschaft in ganz Bayern nun mal von überragender Bedeutung.

Und es stimmt ja auch. Zahlreiche internationale Unternehmen haben sich nur deshalb in München angesiedelt, weil der Flughafen schnelle Verbindungen in die ganze Welt ermöglicht. "Die dritte Bahn nützt Millionen Menschen", sagt FMG-Chef Kerkloh. "Wir sind Garant für langfristigen Wohlstand." Auf die Ausbaugegner ist er schlecht zu sprechen. Immer nur würden die befragt, die Lasten zu tragen hätten. Dabei habe man im Flughafenumland ein wirtschaftliches Niveau erreicht, das fast sorgenfrei mache. "Viele hier kennen Krisen gar nicht."

Schneller als die Strukturen

Und viele, die über den Lärm klagen, fliegen selbst gerne in den Urlaub. Alleine während der Weihnachtsferien zählte der Flughafen eine Million Passagiere. Mallorca rangiert weiter ganz oben in der Beliebtheitsskala, neu im Programm war die Karibikinsel Aruba - neun Flugstunden von München entfernt, ein Traumziel trotz Klimadebatte.

Daheim ist das Verkehrschaos mittlerweile alltäglich geworden: Der Ausbau der Infrastruktur kann mit dem Wachstum längst nicht mehr Schritt halten. Im Münchner Umland schießen riesige Gewerbegebiete aus dem Boden, für die Beschäftigten müssen Wohnungen, Schulen und Kindergärten gebaut werden. Zugleich brauchen immer mehr Menschen staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt, weil sie von den niedrigen Löhnen, die für Catering oder Putzdienste bezahlt werden, nicht mehr leben können. "Bei den hohen Mietkosten langt es da vorne und hinten nicht mehr", sagt ein Sozialarbeiter der Caritas in Freising.

Die wirtschaftliche Sogwirkung des Flughafens ist in ganz Südostbayern zu spüren. Doch immer neue Umgehungsstraßen verlagern die Belastungen oft nur, statt sie zu beseitigen. Er kenne keine andere Region in ganz Deutschland, die in einem ähnlichen Ausmaß von Verkehrsprojekten bedroht sei, sagt der Grünen-Politiker Magerl. Staatsregierung und Flughafengesellschaft hoffen nun auf den Transrapid, der die Anbindung an den Münchner Hauptbahnhof verbessern soll. In der Region jedoch ist die Magnetbahn ungefähr so beliebt wie die dritte Startbahn. "Die glauben in München, dass sie was beschließen, und wir hier draußen vertreten den Blödsinn", sagt Berglerns Bürgermeister Knur. Diese Zeiten seien in Bayern aber vorbei. Bei der Landtagswahl im Herbst, da werde sich ja zeigen, wie die CSU abschneide. Es klingt so, als ob Knur nichts Gutes erwarte.

Ein Westwind-Tag in Eitting. Über dem Dorfrand fliegt eine Boeing 767 der Air Canada aus Toronto ein. Sechs Kilometer sind es von hier noch bis zur nördlichen Landebahn. Für Bürgermeister Matthias Kammerbauer ist es ein guter Tag. Fallen Ostwind und Rushhour zusammen, dann schickt er dagegen schon mal ein Stoßgebet zum Himmel: "Petrus, lass es wieder von Westen wehen." Denn bei Ostwind drehen die startenden Flugzeuge genau über dem Dorf nach Süden oder Norden, obwohl sie das eigentlich nicht sollten. Bei Westwind ist es zwar ruhiger, dafür aber ist dann das Wetter meistens schlecht. "Den Garten", sagt Kammerbauer, "den kannst du vergessen."

Drinnen in der Gemeindekanzlei ist vom Lärm nichts zu hören. Kammerbauer residiert hinter Fenstern der Lärmschutzklasse 4, die Frischluft strömt aus Schlitzen in der Holzdecke. Auch das benachbarte Schulhaus wurde auf diese Weise ausgestattet. "Wir werden komplett beschallt", sagt er. Kammerbauer ist seit 1972 im Gemeinderat, und seitdem beschäftigt er sich mit dem Flughafen. Er weiß, welche Kurvenradien ein vollbetankter Jumbobjet fliegen kann und wie Lärmwerte berechnet werden. Im Sitzungssaal der Gemeinde stehen die 47 Ordner mit den Unterlagen zur Planfeststellung. Kammerbauer ist ein Realist: Das Genehmigungsverfahren werde sehr wahrscheinlich zugunsten der Flughafengesellschaft ausgehen, befürchtet er: "Die Gerichte beugen sich eher dem Argument der Wirtschaftlichkeit. Umweltaspekte spielen da eher eine untergeordnete Rolle."

Hoffen auf höhere Ölpreise

Dennoch sieht er eine Chance, wie die dritte Startbahn doch noch verhindert werden könnte: Wenn es gelänge, den Baubeginn um ein paar Jahre zu verzögern, dann werde das Projekt wegen steigender Kerosinpreise womöglich überflüssig. So lautet das Kalkül aller Flughafengegner - von Biobauer Josef Braun bis hin zu Michael Schwaiger, dem Landratskandidaten der Freien Wähler: Er rechnet vor, dass vor 2015 kein Flugzeug auf der neuen Bahn landen werde, weil man gegen die Planfeststellung auf alle Fälle klagen wolle. Mit Gerichtsverfahren haben die Gemeinden jahrzehntelange Erfahrung, auch wenn sie am Ende meistens verloren haben. Doch diesmal zählt nicht der Sieg, sondern nur die Zeit.

Die Flughafengesellschaft hält die Hoffnung ihrer Widersacher für naiv. Kerkloh ist sich sicher, dass der Flugverkehr selbst bei weiter steigenden Ölpreisen zunehmen werde. Zwar räumt die FMG ein, dass Passagierprognosen für das Jahr 2020 auf Basis der vergleichsweise niedrigen Kerosinpreise von 2005 erstellt worden seien. Doch Berechnungen hätten ergeben, dass selbst wesentlich höhere Preise die Entwicklung allenfalls um ein oder zwei Jahre verzögern würden. In diesem Jahr wächst das Passagieraufkommen Kerkloh zufolge um fünf Prozent - trotz "sehr, sehr kritischer Ölpreise". Mit den Planungen für die dritte Startbahn liege die FMG voll im Zeitplan. "Klagen haben wir erwartet", sagt er. Doch so ganz sicher, wie Kerkloh es nach außen vorgibt, ist sich die Flughafengesellschaft offenbar nicht: Es heißt, dass man intern sehr wohl darüber diskutiert habe, wozu man eine 4000 Meter lange Startbahn eigentlich brauche und wie man das den Gerichten erklären solle. Wo doch im Grunde auch 2500 Meter völlig ausreichend seien.

Landratskandidat Christian Magerl ist im Hauptberuf Vogelforscher. Als solcher arbeite er überwiegend mit dem Ohr, sagt er. Deshalb kann er sich noch gut erinnern, wie es damals geklungen hat, Anfang der siebziger Jahre. Als er in den frühen Morgenstunden von Freising ins menschenleere Erdinger Moos fuhr: "Du hast kein einziges technisches Geräusch gehört. Nur die Vögel haben gesungen." Jetzt gebe es in der Region keine einzige ruhige Minute mehr. Gerade die älteren Menschen empfänden die Veränderungen als Schmerz. Dafür aber gibt es im Erdinger Moos nun einen der größten Arbeitgeber Deutschlands. Und eine Stichwahl zwischen zwei Gegnern des Flughafenausbaus, die Landrat werden wollen. FMG-Chef Kerkloh sagt, weil er am Sonntag unterwegs sei, habe er bereits eine Briefwahl gemacht. Für wen er gestimmt hat, das verrät er nicht.

© SZ vom 14.03.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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