Armut:"Mein Vater war einfacher Postbote"

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Georg Ringsgwandl, der bunte Bühnenvogel, wird Schirmherr der eher uncoolen Arbeiterwohlfahrt. Wie passt das? Der Kabarettist ist in armen Verhältnissen aufgewachsen - und hat das soziale Netz, das ihn auffing, nicht vergessen

Interview von Dietrich Mittler

Georg Ringsgwandl, 66, ist als Liedermacher und Kabarettist in ganz Deutschland ein Begriff. Zuvor war er lange Jahre als Kardiologe, Internist und Intensivmediziner tätig. Darüber hat er aber nie vergessen, dass er in Bad Reichenhall in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen ist. Als ihn die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bat, bei einer nun anlaufenden Öffentlichkeitsaktion als ihr Schirmherr aufzutreten, sagte Georg Ringsgwandl nicht Nein.

SZ: Wann fängt man an, Armut zu spüren, gibt es dafür eine innere Messnadel?

Georg Ringsgwandl: Die häufigsten Zustände von Verarmungsgefühl gibt es ja in der Oberschicht. Vor zwei Jahren sagte mir ein sehr erfolgreicher Kabarettist, dass sein Einkommen von zwei bis drei Millionen Euro auf 1,2 Millionen runtergegangen sei. Da habe seine Managerin zu ihm gesagt: "Du musst aufpassen, uns brechen die Einkünfte weg!" Ganz bestürzt hat er mir das erzählt.

Nicht gerade ein Massenphänomen.

Ernsthaft gesagt ist es so, dass es dann bitter wird, wenn sich Menschen die U-Bahn nicht mehr leisten können. Wenn sie auf das Telefon verzichten müssen, wenn sie die Miete selbst für eine kleine Wohnung nicht mehr aufbringen können. Da wird es dann haarig.

Könnte es sein, dass sich Armut heutzutage versteckt?

So ist es. Armut ist heute nicht mehr an der Kleidung zu erkennen - auch nicht am mangelnden Handy.

Inzwischen heißt es ja nicht mehr Arme, sondern Armutsgefährdete - was fällt Ihnen dazu ein?

Tja. Ich bin einer von denen, die ihr ganzes Leben durch solche Erfahrungen in der Kindheit und Jugend gezeichnet bleiben werden. Da möchte man gar nicht wissen, was sich hinter solchen Floskeln versteckt.

Ein Satz von Ihnen lautet: "Berühmt sein ist ungesund." Sagt das nun der Arzt Georg Ringsgwandl?

Nein, hier spricht jemand, der aus sehr bescheidenen Verhältnissen in eine relativ erfolgreiche Position gekommen ist. Ich hatte das Glück, dass mir das spät passiert ist: Als ich die erste Platte gemacht habe, war ich 38. Insofern hat mich der ganze Wahn von Applaus, Ruhm und Geld relativ spät getroffen.

Und nun sind Sie auch noch Schirmherr einer AWO-Aktion.

Georg Ringsgwandl hat seine erste Platte mit 38 veröffentlicht - "ich hatte Glück, dass mir das spät passiert ist". (Foto: imago stock&people)

Ich bin ja sonst in der Benefiz-Szene nicht so präsent. Das Thema Afrika zum Beispiel ist ja schon vom U2-Sänger Bono besetzt.

Dann war die AWO zum Glück noch frei?

Die AWO ist ja eigentlich eine maximal uncoole Institution. Absolut bieder, noch dazu so ganz altmodisch sozialdemokratisch. Ich hatte aber zufällig zwei gute Erinnerungen an die AWO. Eine Tante, die mit einer schlimmen Demenz geschlagen war. Eine Frau mit knapper Rente, die im Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in Freilassing auf eine menschlich wirklich sehr anständige Weise behandelt wurde. Das andere war ein Erlebnis in Mannheim: Unsere Band konnte da in einem Gebäude der AWO-Jugendhilfe proben, in einem eher heruntergekommenen Viertel. Das Heim führte ein Typ, dem es gelang, die schwierigen Jugendlichen auf gelassene Art und Weise zu führen. Das hat mir gefallen.

Also doch ganz cool - diese AWO?

Der bunte Bühnenvogel erweist hier ganz schlicht seinen Respekt vor der grauen Menge derer, die Tag für Tag ganz unspektakulär ihre harte Arbeit machen. Ich gehöre ja zu den Leuten aus dem Showbusiness, die durch reichlich Beifall verwöhnt sind. Wichtiger sind aber die vielen anderen, die durch ihre Arbeit für die soziale Infrastruktur sorgen. Ohne diese Menschen würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren.

Was unterscheidet die heutigen Kids in den Glasscherbenvierteln von den damaligen Kindern in Armut?

Die "Kids" von heute haben genügend zu essen, einen Fernseher und fließend kaltes und warmes Wasser. Das ist der Unterschied zu uns damals. Ansonsten sind sie genauso minderprivilegiert, wie wir es waren.

Ist das wirklich der einzige Unterschied?

Wer damals als Unterschichtkind versucht hat, aufs Gymnasium zu kommen, der musste vom Pfarrer, von einigen Lehrern, Amtspersonen, Ärzten et cetera immer wieder hören, dass es eigentlich eine Zumutung sei, dass sich eine Figur, wie ich es etwa war, an einer höheren Schule aufhält. Heute ist diese Art von Diskriminierung wesentlich subtiler. Dabei hatte ich ja noch Glück. Ich war der Einzige in unserem Glasscherbenviertel, bei dem die Eltern gesagt haben: "Bildung ist die Chance, da rauszukommen!"

Bei aller Dankbarkeit, Sie sind doch zu Hause oft ziemlich verdroschen worden.

Mit 14, 15 hatte ich deshalb auch Mord-Gedanken gegenüber meinem Vater. Aber als ich dann so Mitte 30 war, mit Beruf und einer eigenen Familie, habe ich meinen Vater anders gesehen. Er kam schwer verletzt aus dem Krieg zurück und hat trotzdem immer hart gearbeitet. Er hat sein Leben so gut gemeistert, wie er halt konnte. Mehr kann man von einem Menschen nicht verlangen.

Was haben Sie von Ihrem Vater mitbekommen?

Er war ja einfacher Postbote. Er wusste, wie wichtig Gewerkschaften sind. Ich habe von klein auf erlebt, wie wichtig staatliche Hilfen sind, wenn der Vater Kriegsinvalide ist. Ohne dieses soziale Netz hätte unsere Familie nicht existieren können. Und ohne dieses Netz wäre ich auch nicht aufs Gymnasium gekommen. Es ist eine Frage von Anstand, das nicht zu vergessen.

Sie selbst sind ganz nach oben gekommen, erst als Arzt, später dann als Künstler. Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?

Geld und gesellschaftlicher Status haben meinen Vater nie beeindruckt - einfach Klasse! Ihn hat nur der Mensch interessiert, sein Charakter, das, was jemand tut.

Und wie halten Sie es damit?

Ich habe Respekt vor Leuten, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben, die mit Hingabe und Können ihr Zeug machen. So etwas schätze ich. Und wenn das jemand auch noch schafft, ohne andere dabei fertig zu machen, ist es natürlich noch größer. Umsatzzahlen oder Titel interessieren mich nicht. Für mich ist jeder Handwerker interessanter als die Mischpoke von Halb- und Drittelberühmten, die sich auf diversen Empfängen rumdrückt.

Wie lautet Ihre bisherige Lebensbilanz?

So hart es am Anfang auch war, bin ich noch ganz gut rausgekommen. Die meisten Kinder aus solchen Verhältnissen werden gebrochen und kommen nie dazu, ihr Potenzial auch nur halbwegs ausfahren zu können.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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