Affäre an den Rummelsberger Anstalten:Kodex soll Missbrauch verhindern

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Vor fünf Jahren wurde an den Rummelsberger Anstalten die Affäre um Karl Heinz Bierlein bekannt. Der damalige Leiter soll Diakonenschüler körperlich bedrängt und misshandelt haben. Jetzt leiten die Diakone der Brüderschaft endlich eine Reform ein.

Dietrich Mittler

Nach zwei Jahren voller Diskussionen "bis an die Grenze des Aushaltbaren" ziehen die Rummelsberger Diakone jetzt einen Schlussstrich unter die Affäre Bierlein - sie wollen sich selbst einen Kodex geben, der den Missbrauch von Macht innerhalb der Brüderschaft künftig verhindern soll.

Nicht nur durch Missbrauchsfälle, auch durch Quälereien des ehemaligen Rektors Karl-Heinz Bierlein stehen die Rummelsberger Anstalten im Blickpunkt. (Foto: picture-alliance/ dpa)

2007 waren schwere Vorwürfe gegen den damaligen Leiter der Rummelsberger Anstalten, Karl Heinz Bierlein, laut geworden: Er habe Diakonenschüler und junge Diakone körperlich bedrängt und teils sogar misshandelt. 2008 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung und zu einer Geldbuße in Höhe von 10.000 Euro verurteilt. Nach dem Skandal verließ er Bayern und fand als Vorstandsvorsitzender der Johannes Seniorendienste in Bonn eine neue Tätigkeit, was innerhalb der evangelischen Kirche für Proteste sorgte.

In Rummelsberg indes soll jetzt ein neues Diskussionspapier innerhalb der Brüderschaft eine Reform einleiten. Es ist in enger Zusammenarbeit mit Bierleins einstigen Opfern entstanden. Gefordert wird darin eine "Kultur der Achtsamkeit", gegründet auf Regeln, die nahezu Verfassungscharakter haben. Einige Beispiele aus dem Diskussionspapier: "Die Brüderschaft ächtet jede Form von Machtmissbrauch." Sie "stellt den Schutz aller Brüder sicher", und verpflichtet sich "zur Umsetzung eines Notfallplans", falls es wieder "zu gravierenden Vorfällen von Machtmissbrauch kommt".

Nach den schrecklichen Erfahrungen, die wir hinter uns haben, musste jeder individuell seinen Weg finden, damit fertig zu werden", sagt einer von Bierleins Opfern auf Anfrage. Er ist dankbar, dass die evangelische Amtskirche ihm und anderen Betroffenen schnell Glauben schenkte und entschlossen eingriff. Die vorliegende Dokumentation, die er selbst als Streitschrift empfindet, diene dazu, auch innerhalb der Brüderschaft "eine Heilung" zu ermöglichen. Bierlein war zwar ein Einzeltäter, der sich nach Auffassung des Gerichts an den jungen Männern vergriffen hatte, um seine homosexuellen Neigungen auszuleben. Dabei konnte er sich jedoch der autoritär ausgerichteten Denkstrukturen innerhalb der Brüderschaft bedienen.

Diese Strukturen wirkten auch nach Aufdeckung der Taten und Bierleins Rücktritt fort: "Inzwischen wissen wir, dass Institutionen dazu neigen, Opfern keinen Glauben zu schenken", heißt es in der Dokumentation. Mehr als einmal bekamen Bierleins Opfer - die alle an einer pseudowissenschaftlichen Studie ihres damaligen Chefs teilgenommen hatten - zu hören: "Warum habt ihr euch denn nicht gewehrt?" Einige Mitbrüder schenkten ihnen gar nicht erst Gehör. Auch so wurden Wunden geschlagen: "Jeder war und ist involviert - direkt oder indirekt als Beobachter, Verantwortlicher, schweigende Mehrheit", ist in der Dokumentation zu lesen. Darum, so die Verfasser, müsse jeder aus dem Tatgeschehen lernen und die Mechanismen entlarven, die einen Machtmissbrauch zulassen.

Doch nach dem Willen der Reformgruppe soll es nicht bei der Vergangenheitsbewältigung bleiben. Sie will Strukturen schaffen, die den Schutz vor Übergriffen durch Vorgesetzte verhindern, sei es in Form einer Ethikkommission, sei es durch Ombudsmänner. Und hier bleibt in Rummelsberg - trotz der weitgehend von den Brüdern mitgetragenen Aufbruchsstimmung - noch einiges zu tun: "Es gibt bereits einen Personalausschuss, einen Brüderschaftsrat, aber sie funktionieren oft nicht, wenn es um Fragen des Schutzes von Brüdern geht", kritisieren die Reformer.

Martin Neukamm, der jetzige Leiter der Brüderschaft, ist zuversichtlich, "dass die allermeisten Betroffenen zwischenzeitlich einen guten Weg aus der Krise gefunden und in das ganz normale Leben zurückgefunden haben". Er stützt sich dabei auf Aussagen von Opfern, die darauf hinauslaufen: "Wir haben eine Krise überwunden, aus der wir gestärkt und sensibilisiert herausgegangen sind."

Aber auch bei diesen sind Narben geblieben, wie ein betroffener Diakon berichtet. Wenn er beim Vaterunser an die Stelle "wie auch wir vergeben unsern Schuldigern"kommt, sträubt sich alles in ihm. Nach vielen Gesprächen weiß er immerhin: "Wenn ich nicht vergeben kann, muss ich mich nicht selber traktieren."

© SZ vom 02.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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