60 Jahre Bayerischer Rundfunk:Weiß-blaue Welle

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Der Heimatsender von Thomas Gottschalk feiert Jubiläum: Seit 60 Jahren prägt der BR das Bild und das Selbstverständnis des Freistaats.

Hans Kratzer

Am Abend des 30. April 1974 lief im Bayerischen Fernsehen (BR) ein Film, dessen Schlüsselszene einen der zauberhaftesten Momente in der 60-jährigen Geschichte des Senders markiert. Im Hintergrund jaulte die Elektrogitarre wie in einem eisenharten Italo-Western, dann schwenkte die Kamera hinüber auf den Vorstadtstrizzi Tscharlie Häusler und dessen Spezln Gustl und Achmed, die sich alle drei auf klapprige Gäule geschwungen hatten und lässig durch das Münchner Siegestor ritten. Die Kultserie "Münchner Geschichten" und ihre herrlich-grotesken Episoden brachten dem Bayerischen Fernsehen großes Lob ein.

Thomas Gottschalk hat seine Medienkarriere beim Bayerischen Rundfunk gestartet. (Foto: Foto: AP)

Gleichzeitig weckten diese cineastischen Kunststücke bei vielen die Hoffnung, dass die Unbekümmertheit und der Leichtsinn der drei Cowboys aus dem Lehel auf den Sender abfärben möge, der im Begriff war, seine Unabhängigkeit unter der Patronage der CSU gänzlich abzustreifen. Im Rundfunkhaus in München war damals schon längst nicht mehr alles "Chicago", um es mit dem Lieblingswort des Tscharlie Häusler zu sagen.

Dabei war der BR in seinen Anfangsjahren nach 1949 in jeder Hinsicht frei wie der Wind gewesen, und die ersten Intendanten schalteten und walteten, wie es ihnen beliebte. Die BR-Hörer bekamen tagtäglich in leidenschaftlich vorgetragenen Beiträgen die ganze Breite des politischen Spektrums serviert.

Die Liberalität des Senders ging soweit, dass ein Fernsehdirektor in der Debatte um Natomitgliedschaft und Atomwaffenstationierung sogar dafür plädieren konnte, das Bayernland lieber rot als tot werden zu lassen. Spätestens in den 70er Jahren war an so etwas nicht mehr zu denken.

Die Anstalt war, zumindest an der Spitze, obrigkeitshörig und bigott geworden, wobei sich dieser Gesinnungswandel bereits an jenem 17. Januar 1961 andeutete, an dem ganz Deutschland über Fritz Kortners Fernsehbearbeitung von Aristophanes "Lysistrata" staunte. Nicht zuletzt, weil Romy Schneider für wenige Sekunden mit halb entblößtem Busen zu sehen war.

Nur der Bayerische Rundfunk bewahrte seine Zuschauer vor diesem Sündenblick, indem er das Gemeinschaftsprogramm der ARD boykottierte und das Publikum stattdessen mit einem Dauerflimmern unterhielt.

Schutz vor nackten Busen

Der nackte Busen dürfte nicht der einzige Grund für diese "Schutzmaßnahme" gewesen sein. Vermutlich war auch die politische Botschaft der Inszenierung nicht opportun, denn Kortner kritisierte die militärische Aufrüstung, womit er freilich dem damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß gerade recht kam.

Von dieser Zeit an hatte der Bayerische Rundfunk keine Scheu mehr, das Programm zu zensieren. Er enthielt seinen Zuschauern beispielsweise einen Homosexuellenfilm von Rosa von Praunheim vor oder aber den "Scheibenwischer" des Dieter Hildebrandt, nur weil er kritische Anmerkungen zum Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals vortrug.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über unvergessene Reporter und den Dualismus, der den Bayern so unberechenbar macht.

Sicherlich war eine solche Bevormundung des Publikums nicht im Sinne der Gründerväter des Bayerischen Rundfunks. Als der Direktor der US-Militärregierung in Bayern, Murray van Wagoner, vor genau 60 Jahren, am 25.Januar 1949, die Lizenzurkunde an den BR-Intendanten überreichte, stand darüber als ungeschriebenes Gesetz: "Der Rundfunk gehört niemandem." Das war die Formel, nach der anno 1945 der Wiederaufbau des Radios in Bayern begonnen hatte. Es sollte nie mehr wieder zum Sprachrohr des Staates werden.

Logo des Bayerischen Rundfunks (Foto: Foto: dpa)

Nun war aus dem seit 1945 von den Amerikanern kontrollierten Radio Munich der Bayerische Rundfunk geworden. In den Staatsvertrag wurde dick hineingeschrieben: Sein Programm hat der Information, der Bildung, der Beratung und der Unterhaltung zu dienen. Am 22. September 1964 startete dann der eigene TV-Kanal.

In jenen Jahren hat der BR die Vorgabe des Staatsvertrags bisweilen übererfüllt, manchmal aber auch sträflich vernachlässigt. Bedenklich wurde die Lage vor allem dann, wenn die Politik den Rundfunkrat, die Intendanz und sogar die Redaktionen kontaminierte. Es war oft zum Herzerbarmen, mitansehen zu müssen, wie sich BR-Reporter vor laufenden Kameras im Gespräch mit den Großkopferten der Staatsregierung als unterwürfige Kasperlköpfe selbst karikierten.

Und doch haben es die Parteihengste nicht geschafft, den guten Journalismus im Bayerischen Rundfunk abzuwürgen. Man könnte eine ganze Litanei von Sendungen aufzählen, die für Furore gesorgt haben, etwa die Formate des Jugendfunks, wo die großen Showmeister der Republik aus den Windeln schlüpften, etwa Thomas Gottschalk und Günther Jauch.

Identitätsstiftung in Zeiten der Globalisierung

Auch Fernsehserien wie etwa die Grandauers werden in ihrer Fülle die Zeiten noch lange überdauern. Den vielkritisierten Trash-Formaten des Privatfernsehens setzte der BR das Bildungsfernsehen BR-Alpha entgegen, den einzigen Sender der Republik, der es wagt, am Samstagabend stundenlange Universitäts-Vorlesungen, und sei es über die Rechtfertigungslehre bei Paulus und Augustinus, zu übertragen.

Unstrittig ist auch, dass der BR in den Zeiten der Globalisierung mehr Identität stiftet denn je. Er prägt das gängige Bayernbild nachhaltig mit, und wenn er das Seppl-Klischee mit so manchem Bauerntheater nach Kräften genährt hat, so stehen daneben halt auch die Klassiker: Formate wie Unter unserem Himmel, Spessart und Karwendel, Schwaben und Altbayern, die zwar wie ein Tranquilizer wirken, wie es Moderator Fritz Egner ausgedrückt hat, aber selbst er macht mittlerweile die Erfahrung: "Wenn ich die Zither von Unter unserem Himmel höre, dann löst dies Heimatgefühle aus."

Der Bayerische Rundfunk, das sind auch unvergessene Reporter, die zum Alltag gehören wie das tägliche Brot. Was wäre ein Samstag ohne die Radiosendung "Heute im Stadion", die rasende Reporter wie Oskar Klose hervorbrachte ("Die Bayern spielen völlig kopflos, sie wollen mit dem Kopf durch die Wand.") und Günther Koch, der den Ball durchs Hosentürl ins Kisterl rollen ließ.

Doch selbst in den besten Sendungen schimmert im BR immer wieder jener Dualismus durch, der die Bayern so unberechenbar macht. Beim BR schaut das so aus, dass es bei den Comedyabenden am Freitag nicht krachert und derb genug hergehen kann, während in den Nachrichten- und Magazinsendungen das Hannoveranische Idiom zum Maß aller sprachlichen Dinge wurde, damit nur ja kein bayerischer Wohlklang zu hören sei. Was wiederum dazu führt, dass Radiomoderatoren des BR ihren Hörern weismachen wollen, das urbayerische Volkssprüchlein "Momadu, nana Badda, Baddamadu" sei ein Stammesgesang aus Afrika.

In den "Münchner Geschichten" hätte die große Schauspielerin Therese Giehse, sie spielte die Oma des Tscharlie, für solche Ausrutscher vermutlich sogar Verständnis gezeigt. Ihre Gelassenheit und ihr Leitspruch böten dem BR für die Zukunft eine weise Orientierung: "Wer morgens dreimal schmunzelt, mittags nicht die Stirne runzelt, abends singt, so dass es schallt, der wird hundert Jahre alt."

© SZ vom 24.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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