Interview mit CSU-Experte Oberreuter:"Stoibers Reformpolitik war unglücklich"

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Der Haus- und Hofpolitologe der CSU, Heinrich Oberreuter, macht den früheren Ministerpräsidenten verantwortlich für die Fehler in Bayerns Bildungspolitik.

C. Burtscheidt

Die CSU steht in der Kritik. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl nicht sicher ist. Eine gefährliche Schwachstelle der CSU könnte der Unmut der Wähler über die Bildungspolitik der vergangenen Jahre werden. Zum ersten Mal geht nun der Passauer Politologe Heinrich Oberreuter mit der CSU ins Gericht: Er bricht mit einem Tabu innerhalb der Partei und wirft dem früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber jahrelange Versäumnisse in der Bildungspolitik vor.

CSU-Kenner Heinrich Oberreuter (Foto: Foto: Universität Passau)

SZ: Herr Professor Oberreuter, was läuft falsch in der Bildungspolitik?

Heinrich Oberreuter: Mir fällt auf, dass in Deutschland Bildung und Forschung in politischen Sonntagsreden immer Priorität genießen, was sich jedoch jahrelang nicht im Haushalt widerspiegelte: also eine rhetorische Prioritätensetzung und das in einer Zeit, in der Bildung die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts ist.

SZ: Damit zitieren Sie Ministerpräsident Günther Beckstein. Er bemühte sich in den letzten Wochen, die alten Sparbeschlüsse der CSU zu korrigieren. Ist das nicht längst zu spät?

Oberreuter: Man muss der CSU zugestehen, dass sie in Bayern über Jahrzehnte hinweg ein leistungsstarkes Bildungs- und Hochschulsystem unterhalten hat, das ihr Spitzenpositionen bescherte. Andererseits hat sich die CSU seit Pisa bei der Schule auf den Lorbeeren ausgeruht und die Zukunftsprobleme nicht angepackt. Den letzten Regierungserklärungen konnte man nun in der Tat entnehmen, dass die Regierung das Ziel verfolgt, größere Defizite zu reparieren, zum Beispiel bei der Lehrerversorgung, dem Unterrichtsausfall, der Klassengröße oder der zu geringen Durchlässigkeit zwischen den Schularten. Das hätte man schon längst anpacken können.

SZ: Bayern wirkt im Vergleich zu anderen Ländern nicht sehr reformfreudig.

Oberreuter: Was den Ausbau der Ganztagsschulen anbelangt, hat es tatsächlich gedauert, bis sich in der CSU ein neues Familien- und Frauenbild durchsetzte. Doch ihre Zögerlichkeit hat Bayern auch davor bewahrt, irrige Entwicklungen in den siebziger Jahren mitzumachen.

SZ: Wo sehen Sie die größten Versäumnisse?

Oberreuter: Vor allem in der Frühförderung. Was mich zusätzlich in Rage bringt, ist die mangelnde Sensibilität für die Fort- und Weiterbildung. Seit einem halben Jahrhundert ist bekannt, dass wir lebenslang lernen sollen, weil sich die Berufswelt rasant verändert. Doch bis heute wurden dafür nicht die Voraussetzungen geschaffen. Ein Trauerspiel war der kaltschnäuzige Versuch unter Kultusministerin Monika Hohlmeier, bei der Erwachsenenbildung 30 Prozent zu kürzen. Mit Ministerpräsident Stoiber konnte hinterher dann noch das Schlimmste verhindert werden.

SZ: Aber ein Großteil der Defizite bei der Bildungspolitik ist doch auf Stoibers rigiden Sparkurs zurückzuführen, dem alles andere untergeordnet wurde.

Oberreuter: Die ,,Reformpolitik'' am Beginn der Legislaturperiode war in höchstem Maße unglücklich und warf im Bildungssystem eher neue Probleme auf, als alte zu lösen. Zugespitzt gesagt, war das der erste Schritt vom Ende Edmund Stoibers. Dass jetzt einige dieser Maßnahmen repariert werden, begrüße ich.

SZ: Allerdings ist die CSU nun so mit der Korrektur ihrer Fehler beschäftigt, dass sie zu nichts anderem mehr kommt. Stichwort: die überstürzte Einführung des sogenannten G 8, des auf acht Jahre verkürzten Gymnasiums.

Oberreuter: Eine solch einschneidende Reform darf man nicht ohne gründliche Vorüberlegungen durchführen. Jetzt befindet man sich in dem Dilemma, Lehrangebote kürzen zu müssen, was nicht in allen Fällen zu verantworten ist. Das wiederum führt dazu, dass gut betuchte Eltern, die um die bewährte Leistungsfähigkeit des bayerischen Gymnasiums fürchten, ihre Kinder in die Privatschulen schicken.

SZ: Dabei hat gerade Bayern sich immer mit seiner besonders guten Schule gebrüstet. Vor der Wahl verspricht die Regierung nun einen Geldsegen für Schulen und Hochschulen. Ist das glaubhaft?

Oberreuter: Die CSU hat seit kurzem umgesteuert. Der neue Kurs ist konsequent. Nun aber muss sich die CSU an ihre Versprechen auch aus zwei Gründen halten: Erstens sind es die Leute leid, dass ihnen die Politik vor der Wahl etwas vormacht, was sie dann nicht einhält. Zweitens hat die CSU nun erkannt, dass das Schul- und Hochschulsystem intensiver Förderung bedarf, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und zu verteidigen. Wir müssen aufpassen, dass uns das Ausland qualifizierten Nachwuchs nicht noch stärker abwirbt.

SZ: Die Wahlen in Niedersachsen, Hessen oder Hamburg haben gezeigt, wie stark heute das Ergebnis von der Zufriedenheit mit der Bildungspolitik abhängt. Muss das der CSU für den 28. September ein Warnzeichen sein?

Oberreuter: Die CSU hat in den Umfragen eine bildungspolitische Achillesferse. Die beruht jedoch nicht auf einer Leistungsschwäche des Systems, sondern erstens auf Organisationsschwächen wie Lehrermangel, großen Klassen und Strukturfragen; zweitens aber auf einer Erwartunghaltung vieler Eltern, dass die Kinder in der Schule nicht übermäßig gefordert werden dürfen. Jeder muss aber selbst zu seinem Erfolg beitragen.

Der Politikprofessor von der Universität Passau gilt seit Jahren als einer der besten Kenner der CSU - auch weil er der Partei und ihrem Personal besonders nahe steht. Der 66-Jährige ist selbst langjähriges CSU-Mitlgied. Oberreuter leitet die Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er ist einer der aktivsten Kommentatoren der bayerischen Landespolitik und Träger aller wichtigen einschlägigen Orden.

© SZ vom 31.07.2008/vb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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